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Wanderung Nummer 22 – Hammer

Okay. Ich verkneife mir an dieser Stelle das Wortspiel, das mir heute den ganzen Tag im Kopf herumspukt, auf meiner Zunge liegt, jetzt in meinen Fingern juckt und unbedingt in die Tastatur gehämmert werden will. Ich brauche einfach nur das Hinweisschild zur Dorfgaststätte zu erwähnen, der ich mangels des zu Hause vergessenen Romans – nie ohne Buch in eine unbekannte Kneipe! –  keine weitere Beachtung schenke: Bistro „Der Hammer“. Alles klar? Gut.

Meine minimalistische Blog-Gemeinde braucht also nicht den Kopf darüber zu schütteln, dass ich billigen Gags auf den Leim gehe. Allerdings ist Kopfschütteln heute wirklich angebracht. Während ich – die eine Hand am mitgebrachten Giraffenstock, die andere wahlweise am Geländer, an einem dünnen Baumstämmchen, auf dem Boden oder an den ziemlich reißfesten Zweigen eines immergrünen Ginsterbusches – schon am Anfang des Weges in einem Steilhang weder vor noch zurückkomme, weil ich mich seit genau einer Woche  eben nicht ordnungsgemäß bewegen kann – wird mir klar, dass ich einen Vollknall habe.

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Dabei bin ich extra bis ins fast schneefreie Tal gefahren, denn es ist Tauwetter, und tauender Schnee ist glatt und rutschig, und gerutscht bin ich letzte Woche schon. Am Anfang der Tour ist auch noch alles in Ordnung. Ich werfe einen Blick auf die Karte, stelle tatsächlich fest, dass ich gerade dabei bin, das Pferd wie so oft von hinten aufzuzäumen und gehe ausnahmsweise mal richtig rum, sodass ich die drei angegebenen Highlights in der korrekten Reihenfolge bewundern kann.

Das heißt: Ich gehe nicht. Zeitweise krabbele ich. Oder krieche. Und habe richtig Angst. Wenn ich hier noch mal hinknalle, abrutsche, in Schieflage gerate, sehe ich schwarz für meine alten Knochen.

Ist das jetzt Mut? Übermut? Dickköpfigkeit? Unnachgiebigkeit? Ein aufmunterndes „Weiter so!“ – wie bei der GroKo? Aus der Nummer hier komme ich ohne Verlust von Steißbein und Würde nicht mehr raus. Ich befinde mich – warum auch immer – auf einem steil nach oben führenden kurvigen und deshalb nicht einsehbaren Pfad. Nach etwa fünf Metern ist klar: Vor geht vielleicht noch,  zurück aber nicht mehr. Zu glatt. Ich entscheide mich für den Verlust von Würde. Warum in aller Welt tue ich mir das an? Einen Wanderschuh nach dem anderen setze ich in die rutschige, weiße Masse. Vorsichtig kämpfe ich mich nach oben. Ein Blick zurück und mir wird übel und klar, dass der nächste Anruf der Bergrettung gilt. Dabei ist das gar kein Berg. Nur ein äußerst glatter Hügel, überhaupt nicht geschaffen für nicht ganz dichte Menschen meiner Altersklasse. Mit der Nummer hätte ich genauso gut auf eine Karnevalssitzung gehen können. Für ein Bewerbungsfoto  habe ich keinen Nerv.

Oben atme ich auf. Wohl wissend, dass ich spätestens am Ende des Weges wieder nach unten muss.  Denn Hammer liegt tief unten im Tal. Deswegen hatte ich diesen Weg ja ausgesucht.

Wenn er nur nicht so verschneit und vereist wäre. Die ganze Wanderung über spukt mir die bange Frage im Kopf herum: Was, wenn ich mich am Ende dieses schönen Weges  in einer ähnlichen Hanglage befinde wie am Anfang? Autsch! Schon der Gedanke daran tut höllisch weh.

Tapfer laufe ich weiter. Es gibt viele vereiste Stellen, die gesundheitsgefährdende Rutschpartien versprechen. Ich komme nur langsam voran. Aber ganz unten, im Tal, zeigt der Winter noch einmal sein kreatives Potential. Eisblumen gibt’s nicht mehr, dafür aber Zapfen und schimmernde Skulpturen am Bachufer.

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Frierendes Wasser. Eiszeit.

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Ansonsten gibt es wenig helle Flecken. Dies sind die grauen Tage. Die Farben des letzten Jahres sind verblasst, ausgewaschen, müde geworden.  Grüner wird es heute nicht mehr.

Zeit für einen Neuanfang.

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Wanderung Nummer 21 – Zur Ölmühle

Immer noch laufe ich zu lange in die falsche Richtung. Immer noch halte ich den Weg, den ich eingeschlagen habe – trotz der aufgekommenen Zweifel – für den, der ein ganzes Stück gegangen werden muss, um ihm eine Chance zu geben. Lernen kann äußerst schmerzhaft sein. Vielleicht sollte ich „Ölmühle“ als Synonym für „Umkehr“ in meinem aktiven Wortschatz verankern.

Dabei fängt alles so gut an. Ich finde sogar den Ort „Eicherscheid“ auf Anhieb, von dem aus der Rundweg Nummer 47 startet. Unterwegs fahre ich durch wunderschöne Winterlandschaft, so traumhaft, dass ich am liebsten mehrfach anhalten und erste Bilder machen möchte. Die Sonne scheint, alles ist strahlend weiß. Unschuldiger kann sich ein Weg, eine Landschaft, kaum präsentieren.

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Der Schnee ist zwar von gestern, und vor mir waren auch schon andere Winterwanderer unterwegs, aber er knirscht eisig unter meinen Schuhen und so manche Wegeskuhle, in der in den letzten Wochen das Wasser schwamm, ist tiefgefroren und mit Puderzucker bestäubt. Ich gehe drumherum, um die Mini-Eisflächen nicht zu zerstören.

Der Ölmühlenweg ist vergleichsweise kurz, nur knapp 10 Kilometer will ich heute laufen. Ich trage stolz mein neues Fernglas bei mir, ein Geschenk meiner Kinder zum Geburtstag, das erste meines Lebens. Leider ist das erste Tier, ein Reh, so schnell, dass ich nicht reagieren kann. Das zweite, ein Fuchs, ist hingegen so nah, dass ich das Fernglas nicht brauche.

An manchen Stellen sind die Wegweiser verwirrend, zeigen in zwei Richtungen, während ich aus der dritten auftauche. Viele Wege führen nach Rom, und so treffe ich meistens die richtige Entscheidung. Meistens.

Die Sonne gibt ihr Bestes, aber die Minusgrade kann sie nicht ins Plus verkehren. Das macht nichts. Ich knirsche frohgemut vor mich hin, unterwegs werde ich gefühlte fünf Mitmenschen treffen, die es mir gleich tun. In Kanada staunt man immer über die 80 Millionen Deutschen, die sich ein vergleichsweise winziges Land teilen. Wo sind die alle? Das frage ich mich eigentlich jedes Mal, wenn ich unterwegs bin. Hier sind sie jedenfalls nicht, und wie immer bin ich sehr froh darüber.

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Eicherscheid ist ein hübsches Dorf, schon mehrfach gab es Schönheits-Preise. Es gibt gut gepflegte Fachwerkhäuser und viele viele typische Eifel-Hecken, die dem Wind trotzen. Auch außerhalb des Ortes sind sie anzutreffen, und am Ende meiner Wanderung erfahre ich, dass die Dorfleute darum gekämpft haben, sie zu erhalten: Durch Vererben von Landflächen wurden diese immer weiter aufgeteilt und die Hecken als Begrenzung zeigen deutlich, wem welches Stück Land gehört. Die immer größer gewordenen Maschinen, die statt der Menschen heute üblicherweise die Ländereien beackern, können hier nichts ausrichten.  Aber die Eicherscheider haben entschieden: Die Hecken bleiben, das Land wird anders genutzt.

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Ich glaube, den „Flurheckenweg“, den ich hier nur streife, werde ich zu einer meiner Sommerwanderungen machen.

Weil es so kalt ist heute, hole ich mein pinkfarbenes Lieblingsgerät nicht ganz so oft aus der Tasche. Dennoch habe ich am Ende über 100 Bilder geschossen, denn der Weg ist einer der schönsten, die ich bisher gegangen bin. Natürlich liegt das auch am Schnee. Ich werde mich an diesen Winter als einen schneereichen erinnern. Ganz im Gegensatz zu meinen Freunden, die erst in den letzten Tagen in den Genuss weißer Tage gekommen sind. Aachen friert.

Die Ölmühle – das wird mir klar, als ich dran vorbei laufe, liegt nicht zum ersten Mal an meinem Wegesrand. Auch, wenn ich mich an viele Wanderungen deutlich erinnere, muss ich erst nachforschen, bei welcher Gelegenheit ich denn hier vorbeigekommen bin. Fündig werde ich beim „Zwei-Täler-Weg“. Ein Ölmühlenbild habe ich damals nicht gemacht, ebenso wenig wie heute. Aber ein Foto vom Holzkreuz vor dem Ölmühlenwohnhaus. Heute bevorzuge ich die Eule als Motiv. Holzkreuze habe ich schon genug.

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Vorher aber treffe ich eine schmerzhafte Fehlentscheidung. An einer Weggabelung fehlt das 47er-Schild und ich laufe statt in den Wald hinein eine kleine Straße hoch. Es plätschert am linken Wegesrand. Oben, am höchsten Punkt, finde ich ein Forsthaus vor – Pucki lässt grüßen – und erst am Schild mit der Information „Kein Winterdienst“ – ja, das hatte ich durchaus schon bemerkt – kehre ich um. Die Straße hat ungefähr 16 Prozent Gefälle, und während ich noch darüber nachdenke, wie es wohl wäre, hier zu wohnen und mich gerade für den Kauf eines Jeeps entschieden habe, spüre ich das 16prozentige Gefälle auch schon deutlich an meinem Steißbein. Ich kann nicht mal „Scheiße“ denken, so schnell sitze ich Knochen auf Eis.  Das Ganze ist fünf Tage her und ich schreibe im Stehen. Muss ich mehr erzählen?

Als ich mich von meinem Schreck – nicht von meinem Schmerz – erholt habe, probiere ich auf „offener Straße“ aus, ob alle meine Knochen am rechten Platz sitzen. Ich gehe auf die Knie – trotz gerade fehlenden Holzkreuzes – mache in Eis und Schnee den Yoga-Katzenbuckel und die „Stellung des Kindes“ und bin wechselweise erleichtert und enttäuscht, dass niemand vorbeikommt, um mich aufzurichten. Irgendwie schaffe ich es, wieder auf die Beine zu kommen. Lautes Jammern nutzt nichts und deshalb fluche ich leise vor mich hin. Aber ein Foto vom Absturzort kann ich mir nicht verkneifen.

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Jeder Schritt tut höllisch weh und ich weiß, dass es mangels Kühlpack am sinnvollsten wäre, blankzuziehen und mein Steißbein in den Schnee zu setzen. Da ich die Frage, wie ich wieder hochkommen soll, nicht beantworten kann, lasse ich es bleiben und wandere weiter – mit Trippelschritten,  wie eine alte Chinesin.

Im weiteren Verlauf des Weges, auf dem mir ziemlich kalt wird, weil ich nicht schnell genug unterwegs bin, wird mir klar, dass es mich weitaus schlimmer hätte treffen können. Der kleine Fuchs, dem ich begegne, sollte mir eine Warnung sein: Es wäre möglicherweise sinnvoll, einsame Wanderungen mit Nummernangabe in meinem Freundeskreis kundzutun. Als tiefgefrorene Wanderseniorin möchte ich jedenfalls nicht enden.

Ich entscheide mich dafür, das Glas als halbvoll zu betrachten – schließlich hätte ich mir durchaus auch ein Bein brechen oder mir schon früh in meinem Leben den berühmten Oberschenkelhalsbruch zuziehen können – und trippele weiter, wohl wissend, dass ich noch fast die Hälfte des Weges vor mir habe. Super Jungs muntern mich auf, obwohl ich Graffiti im Wald eigentlich nicht mag.

Der heutige Hüttenspruch bedarf einer Interpretation. Ich bin noch unschlüssig, ob ich für mich beanspruchen sollte, dass er etwas mit meinem Steißbein zu tun haben könnte.

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Ich weiß, ich würde diesen Weg genießen, wenn ich in normaler körperlicher Verfassung wäre. Vermutlich ist das ein Zeichen: Er will noch einmal gegangen werden. Ohne jedes Gefälle.

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Und so verabschiede ich mich, gemeinsam mit der Sonne. Wir werden wiederkommen.

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Die 19. Wanderung: Der Panoramaweg

. . . oder: Dreizehn ist eine Unglückszahl!

Heute versuche ich es erst gar nicht mit der ASEAG. Meine Recherchen ergeben wie immer, dass ich zwar hinkomme in die Eifel, aber nicht mehr zurück. Oder zu so schrägen Zeiten, dass ich die Wanderwege im Galopp nehmen müsste.

Alle Medien vermelden Gefahr im Wald: „Friederike“ hat unter den Bäumen und Sträuchern gewütet, der Boden ist aufgeweicht, und nur Lebensmüde stellen sich unter ein schneelastiges Gewächs und warten dort auf einen Wink des Schicksals.

Vor „Friederike“ habe ich nur bedingt Respekt. Sie wurde bereits am Donnerstag von mir bezwungen, als ich pflichtbewusst mein gemütliches Zuhause verlassen habe, um – gegen jedwede Vernunft – quasi „im Auge des Sturms“ – zur Schule zu wandern. Die Bäume bogen sich, und mir entgegen kam ein recht vergnügter Fünftklässler, der – statt die städtische Anordnung zu befolgen, sich auf direktem Weg nach Hause zu begeben – durchs Viertel streifte. In der Lehranstalt angekommen musste ich feststellen, dass von den über 1.300 Edukanten ganze sechs noch anwesend waren. Auf jedes dieser Kinder kam ein zurückgebliebener Kollege. Ich war die Siebte. Vollkommen überflüssig.

Ich bin nicht ängstlich, aber lebensmüde bin ich auch noch nicht. Also suche ich eine Tour am Waldrand und werde fündig beim „Panorama-Weg“ in und um Strauch.

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Am Ende der Tour werde ich zwei Straftaten begangen haben. Für eine muss ich büßen. Ich werde die „Dreizehn“ verloren haben, die mir zuerst so treu ergeben schien und sich dann dünne machte wie ein alter Liebhaber, der  kurz im Nebel auftaucht – „Da bist du ja wieder!“ – und dann erneut unvermittelt das Weite sucht. Ich werde meinen Rucksack in jungfräulich glitzernden Schnee geworfen haben –  und mich gleich hinterher. Ich werde Bekanntschaft mit drei gutmütig kauenden Kälbern, zwei mäßig neugierigen Pferden, Stacheldraht und spitzen Dornen gemacht haben, und zuerst von einem unerschütterlich quer durch die Schneewüste stiefelnden Eifelbauern und dann von einem Mitglied des Steckenborner Karnevalsvereins auf den rechten Weg zurückgeführt werden. Kurz: Ich werde rechtzeitig wieder im Cambio-Auto sitzen.

Schnee zieht mich magisch an. Zumindest, wenn niemand von mir verlangt, irgendeine Piste herunterzubrettern. So auch heute. Der Aachener Wald ist grau und feucht, ich lasse ihn links und rechts liegen. Oben, an „Fringshaus“, ist der Winter so wunderbar weiß, wie er nur sein kann. Das Venn ist ein wenig vernebelt, aber als ich das Auto an der Kirche in Strauch parke, sieht es schon wieder heller aus. Unter den argwöhnischen Augen ziemlich vieler einheimischer Kirchgänger suche ich nach dem Laternenpfahl mit der richtigen Nummer.

Die „Dreizehn“ ist eine lange Route, mehr als 15 Kilometer habe ich mir vorgenommen. Ich merke schnell, dass es mühsam sein wird, denn der Schnee liegt hoch und rutscht gerne heimlich von hinten in meine Wanderschuhe. Aber was für ein Anblick! Die grau gefrorenen Bäume, die Felder mit den unberührten Schneedecken, der blaue Hintergrund! Da ist sie, die Sonne! Sie lässt das Schneeweiß noch kostbarer aussehen, und die grauen Tage sind schnell vergessen.

Raus aus dem kleinen Örtchen laufe ich von Postkartenidylle zu Postkartenidylle in Richtung „Michelshof“. Dort drehen sich die Windräder hoch über die Bäume hinweg und versorgen – so lese ich – 7.000 Haushalte mit Strom. Ein ganzes Jahr lang. Immerhin.

Ich ertappe mich auch hier dabei, wie ich breit grinsend durch die Feldwege stapfe, den Wald meist am sicheren Rand. Meine Kamera wird schneeblind, am Ende werde ich drei schwarze Bilder löschen, die eigentlich hätten weiß sein sein sollen. Ein äußerst kindischer Gedanke kommt mir in den Sinn. Wie ging das noch mal mit dem Schnee-Engel? Rucksack weg und fallen lassen?? Nach hinten???

Ich brauche noch einige Zeit, aber der Gedanke lässt mich nicht mehr los. An den wenigen Mitmenschen kann meine Hemmung nicht liegen. Ich nehme die Schneeflächen in Augenschein. Hier? Dort hinten? Mein Benehmen ähnelt dem eines potentiellen Partylöwen: Warum tanzt du nicht? – Ach nee, nicht meine Musik!

Ah ja. Die kommt vielleicht gar nicht.

Und dann tu ich es: Ich finde eine Wiese mit Blick auf den Rursee, werfe meinen Rucksack mit Schwung mitten in den tiefen Schnee – und mich hinterher. Mit weniger Schwung – mein Rücken 😂😂😂! Aber da lieg ich nun, gestrandet wie ein Maikäfer in der Junisonne. Ich aber bin ein Schneeengel.

Naja, nicht ganz.

Äußerst vergnügt laufe ich weiter. Und lerne die Dreizehn kennen, die Unberechenbare, Unglück bringende Dreizehn. Aber – auch hier gilt der alte Sozialpädagogengrundsatz: „Krisen sind Chancen!“ Ich werde zwar nicht gerade über  mich hinauswachsen, sondern mich so klein und schmal wie möglich machen, aber hier sitze ich und schreibe. Hat doch geklappt.

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Inzwischen weiß ich: Eigentlich ist auf die Schilder mit den Zahlen Verlass. Manchmal muss man ein Stück vor und zurückgehen, um den kleinen schwarzen Pfeil richtig deuten zu können. Allerdings hat „Friederike“ an diesem Baum gute Arbeit geleistet.

Ein Teil steht noch und das offenbar heruntergefallene 13er-Schild wurde von einem netten? (richtig rum) oder weniger netten? (falsch rum) Mitmenschen hübsch ordentlich wieder in den Baum gesteckt. Leider fehlt das Schild auf meiner Seite komplett. Ich überlege, ob es sich lohnt, den sehr großen Ast genauer zu untersuchen, der auf der Schneewiese gegenüber liegt und vermutlich am vergangenen Donnerstag noch Teil des Baumes war. Wenn ich das Schild dort fände, müsste ich mich allerdings in den Ast hineindenken, um herauszufinden, wie genau er am Baum befestigt war. Außerdem liegt die Wiese tief und der Schnee darauf sehr hoch. Ich konsultiere meinen Plan mit der fetten roten Linie und finde meinen Weg.

Ich treffe auf ein „Kapellchen“ – endlich, ich dachte schon, dieser Teil der Eifel habe dem Katholizismus abgeschworen – und laufe weiter, bis ich merke: Der Bach müsste eigentlich auf meiner linken Seite fließen. Das tut er aber ganz und gar nicht. Also: Zurück! Hin und Her, Her und Hin. Ach, da ist das Schild! Es ist zwar nicht die „13“ , aber besser irgendein Schild als gar keines. Der Bach liegt links. Und mitten im sehr schmalen, sehr steil ansteigenden Weg liegt ein Opfer von „Friederike“. Eines? Nein, mehrere. Ein Baum, ein Strauch, sehr viel Gestrüpp. Mindestens zwei Meter hoch und vollkommen undurchdringlich.

Beherzt ziehe ich an einem Ast. Autsch! Dornen! Blut fließt! Ich kriege Stress. Es ist schon nach zwei und ich habe mindestens zwei Drittel des Weges hinter mir. Zurück ist ob der früh einsetzenden Dunkelheit keine wirkliche Option. Also. Ich MUSS! HIER! IRGENDWIE! vorbei. Ich konsultiere die Umgebung. Wiesen, Zäune. Stacheldraht. Sehr stramm gezogener Stacheldraht. Aber alles perfekt Scheinende hat eine schwache Stelle. Da! Ich werfe meinen Rucksack ein zweites Mal ab und mach mich ganz klein und schmal. Niemand hier, der den Draht ein Stückchen für mich anheben könnte. Aber ich schaffe es. Ich laufe zum versperrten Weg und stapfe die verschneite Wiese hoch, überwinde so die versperrte Stelle und stehe – logisch! – am nächsten Zaun. Und hier werde ich gewalttätig. Ich hebe den Zaun aus der Matschepampe und lege ihn flach. Ich komme irgendwie rüber, und stelle das Ganze notdürftig wieder hin. Im Stillen bitte ich um Verzeihung. Hoffentlich ist der Besitzer ein ordentlicher Mensch und kontrolliert die Zäune, bevor er den Stier auf die Wiese lässt.

Aufatmen. Nächste Wiese suchen. Rucksack weg. Hinfallen lassen. Schnee-Engel machen.

Es dauert lange, bis ich die „Dreizehn“ wiederfinde. Mein Orientierungssinn ist völlig dahin. Ich laufe noch zweimal falsch, denn das Vertrackte an Rundwegschildern ist, dass sie immer in zwei Richtungen weisen. Man muss schon wissen, wo man hergekommen ist. Oder wenigstens, von wo  man kommen wollte.

Übrigens: Die erste Straftat traf mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich warte auf das Knöllchen.

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Wanderung Nummer 16: Struffelt im Schnee

Ich habe Ferien. Und gute Vorsätze. Einer davon ist: einen Tag arbeiten, einen Tag ausruhen oder lesen oder schreiben oder . . . wandern.

Wochentags fahren die Busse recht häufig in die Eifel und so mache ich mich – zugegebenermaßen spät, aber gut gelaunt – kurz nach elf auf in Richtung Bushaltestelle. Dort warte ich auf den Bus. Der kommt nicht. Da ich sowohl ein phantasievoller als auch ein geduldiger Mensch bin, denke ich über all die Möglichkeiten nach, die dazu führen könnten, dass ein Bus verspätet ankommt. Mir fallen sehr viele Möglichkeiten ein, denn ich denke sehr lange nach. Eine halbe Stunde, um genau zu sein. Nach dieser halben Stunde gibt es nur noch eine Erklärung: Dieser Bus kommt gar nicht. Kein Problem, laut Plan ist jetzt der nächste dran. Zehn Minuten und gefühlte zehn „falsche“ Busse später gebe ich auf. Die ASEAG ist ein würdiger Gegner.  Sie versucht konsequent, mich davon zu überzeugen, dass Busse in die Eifel im Winter Zeit- und Geldverschwendung bedeuten. Da will im Winter niemand hin. Nur ich.

Ab nach Hause. Wieder rettet mich das Carsharing. Innerhalb von zehn Minuten sitze ich im Fiesta. Allerdings ist es jetzt Mittag und die Tour ab Simmerath, die ich mir für heute vorgenommen hatte, kann ich vergessen. Sie ist zu lang, um vor Einbruch der Dunkelheit das Auto wiederzufinden. Da fällt mir meine Wanderstrecke aus der Frühzeit ein: der Struffelt. Wer weiß, ob ich ohne die Struffelt-Erfahrung überhaupt so oft losgezogen wäre.

Also fahre ich nur bis Rott. An der Abzweigung vor der Himmelsleiter sieht es so winterlich weiß aus, dass ich im Nu versöhnt bin mit der Wander-Notlösung. Ich bin und bleibe ein Winterkind.

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Und da ich weiß, was mich erwartet, bin ich voller Vorfreude. Zuletzt war ich bei schönem Herbstwetter hier. Im Miniröckchen mit Turnschuhen. Mit Cailladou und Trauben im Rucksack. Heute sind es Weihnachtskekse und Schokolade.

Ich bin hier übrigens nicht alleine unterwegs. Es gibt noch mehr Menschen, die das  ausnahmsweise mal trockene Winterwetter nutzen wollen, um Weihnachtsstress und -speck loszuwerden.  Vermutlich haben sie keine Schokolade im Gepäck. Aber wie fast immer bin ich die einzig Alleinreisende. Und wie so oft denke ich, dass die einsame Wanderung die beste ist. Es hat etwas mit Meditation zu tun.

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Mir reicht es schon, im Vorübergehen den Austausch von Belanglosigkeiten in Form von Knödelrezepten mit anhören zu müssen, die in der Struffelt-Stille an bedauernswerte Mitwanderer weitergegeben werden. Mitten im Wald.

Ich laufe am kleinen See vorbei, der – fast zugefroren – silbergrau und still ist. Mir kommt Kate Winslet in den Sinn, die in dem Film, den ich gestern im Kino gesehen habe, in ein schneebedecktes Eisloch einbricht. Natürlich wird sie gerettet, aber der Schreck sitzt tief. Allein der Bilder wegen hat sich mein Kino-Besuch gelohnt: „The Mountain between us“ ist ein Film „Zwischen zwei Leben“.

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Viele Mitwanderer habe ich nicht, die meisten gehen ohnehin nur ein Wegstück und nicht die ganze Route. Aber wenn ich sie von weitem höre, versuche ich, den menschlichen Tönen zu entkommen: Meist hilft schneller sein, manchmal ist Stehenbleiben die bessere Alternative.

Ich weiß, dass irgendwann ein breiterer Bach im Weg liegen wird, und gehe routiniert und ohne auf die Zeichen achten zu müssen, drumherum. Auch dieses Mal spüre ich den Plätscherstress. Vielleicht kriege ich irgendwann mal raus, warum laute Wassergeräusche mir Angst machen. Vielleicht, weil sie alles Andere übertönen?

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Die Farben sind heute anders. Das Weiß des Schnees lässt manches bunter aussehen als es ist. Mir fällt auf, dass der kleine Bach, neben dem ich eine Zeitlang herlaufe, in einem gelben Bett fließt. Lehm und Ton.

An manchen Stellen tut mir der Waldboden Leid. Dort, wo ich vorsichtig durch Matschepampe waten muss, waren immer Maschinen am Werk. Sie reißen den Boden auf, und wenn er bluten könnte, wäre hier Rot die vorherrschende Farbe.

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Dann klart es auf. Der Himmel wird erst hellgrau, dann blau. Diese Farbe gab es länger nicht.

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Das schönste Stück ist das Stege-Stück durch’s Venn. Im Herbst war es schauriger hier, heute sind die Moorlöcher und -Leichen schneebedeckt: die Spinnenlor, der Gräberknecht, die schaurige Margret haben Ruhe.  Ein junger Mann, der einzige Alleinreisende außer mir, steht still und betrachtet die Landschaft.

Wie gut, dass ich heute hier gewesen bin. Zusammen mit der Sonne, die sich auf den Weg  macht, der Nacht zu weichen. Es ist fast halb Fünf, als ich am Auto bin. Gutes Timing.

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Wanderung Nummer 14: Der Kalltal-Weg

. . . oder: Der Versuch zählt!

Heute boykottiert die ASEAG meine Wanderambitionen: Eher zufällig stelle ich fest, dass die in der Aachener Zeitung schon heftig diskutierte und ziemlich negativ bewertete Fahrplanänderung auch „meine“ Linie SB63 betrifft. Und zwar seit heute. Na super! Ein Auto muss her. Auf das Carsharing-System ist wie immer Verlass: In nicht mal einer Minute habe ich „mein“ Auto gebucht.

Der Wetterbericht ist – je nach Sichtweise – vielversprechend bis furchtbar. Schnee (jaaaa!) und stürmische Zeiten (uppps! Da fliegen die Äste, und die Bäume kippen um!) werden vorhergesagt. Soll ich? Soll ich nicht?

Da ich den letzten Sonntag – angesichts der für gestern geplanten Renovierungsarbeiten in der Wohnung, die ich eigentlich in Kürze verlassen wollte – im Schwedischen Möbelhaus statt in freier Natur verbringen musste – immerhin: Holz gibt’s da auch – bin ich gnadenlos. Was machen mir schon ein paar Schneeflocken aus? Wie alle Winterkinder liebe ich Schnee. Und es gibt ihn hier immer seltener. Im letzten Winter habe ich kein Flöckchen gesehen. Zumindest erinnere ich mich nur an „uselige“ graue Stadt-Tage.

Das wird heute ganz anders. Frohen Mutes wandere ich – erste Aachener Flocken in Sicht – zum Autoparkplatz und fahre los nach Lammersdorf. Dort nämlich startet die fast zwölf Kilometer lange „Kalltal-Keltzerbach-Route“, die ich mir – gegen jegliche Vernunft – für heute vorgenommen habe.

Unterwegs schneit es heftig. Das Auto-Außen-Thermometer vermeldet minus zwei Grad. Der Schnee bleibt liegen. In Nullkommanix sind die Straßen weiß. Und ich bin mitten drauf! Seit wie vielen Jahren bin ich nicht mehr auf einer Schneedecke gefahren? Kann ich das überhaupt noch? Bin ich zu schnell unterwegs? Oder eher zu langsam? Was will der Typ mit dem dicken Jeep hinter mir? Ich ignoriere ihn und schleiche weiter. Lieber lebend als gar nicht ankommen. Oben, an „Fringshaus“, am Ende der „Himmelsleiter“, ist richtiger Winter. Das war es doch, was ich wollte. Oder?

Irgendwie schaffe ich es bis Lammersdorf. Ich parke an der Kirche und habe erst mal Hunger. Dann suche ich das Wanderroutenschild mit der Nummer 12 und stapfe los. Ganz Lammersdorf ist ein Bilderbuch-Weihnachtsdorf.

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Ich denke an Astrid Lindgrens „Bullerbü“. Die pure Kindheitsidylle. So will man als Kind leben. Davon träumt man als Erwachsener. Man fährt nach Schweden und besucht das Filmdorf. Man bestaunt die roten Holzhäuschen und fragt sich, ob die Menschen, die dort wohnen, glücklicher sind als man selbst. Man drückt sich die Nasen platt an Immobilien-Schaufenstern und surft durchs weltweite Netz, um nach Häusern am schwedischen See zu suchen. Und dann läuft man durch die Eifel – keine halbe Stunde entfernt von „zu Hause“ – und findet das alles in nächster Nähe. Und nun? Ist „Smaland“ besser als die Eifel? Zumindest klingt es schöner.

Der Weg führt mich aus dem Ort heraus, und hier ist es richtig Winter. Es sieht wunderschön aus, zumindest das, was ich durch die Schneeflocken erkennen kann. Hui! Hier pfeift es ganz schön. Der Wind pustet mir kleine Eiskristalle ins Gesicht. So müssen sich Himalaya-Bergsteiger fühlen. Vor allem meine Beine in den durchlöcherten Jeans fühlen sich so an, als seien Erfrierungen der nächste Schritt in Richtung Wahnsinn. Natürlich bin ich alleine. Meine Füße stapfen durch jungfräulich reinen Schnee.

Manchmal sinken sie auch darin ein. Schneeverwehungen. Die bisher theoretisch gewusste Bedeutung der Eifeler Buchenhecken wird mir praktisch klar, als eine davon sich zwischen mich und die Ebene schiebt: Der Wind und damit die kleinen Nadelstiche ins Gesicht werden ausgeschlossen. Ich atme durch.

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Was ich von Anfang an geahnt habe, verdichtet sich nach und nach zur Gewissheit: Hier heute alleine herumzulaufen, ist vollkommen idiotisch! Ich merke, dass ich ängstlich werde. Das hab ich schon öfter festgestellt: Es liegt an den Geräuschen. Auch, wenn sie noch so schön klingen, krampft sich eine winzige Magenecke zusammen. Lautes Bachgeplätscher, Windwehen, Schneekristallflirren, Baumächzen. Natürlich sind manche Sorgen berechtigt. Ich möchte ungern unter einem herabfallenden Ast enden. Noch eine Viertelstunde. Dann entscheide ich mich für Fortsetzung oder Abbruch.

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Es ist schön hier. Keine Frage. Ich brauche keine Sonne, um loszulaufen. Schwarz, weiß, grau hat so viele Nuancen. Es gibt so wenige Gelegenheiten, erste Fußspuren zu hinterlassen.

Ein wieherndes Wesen begrüßt mich. Vermutlich hält es mich für eine Futterüberbringerin. Tut mir Leid, ich bin nur eine Wandersfrau, die nicht ganz bei Trost ist. Die nicht nur die Aachener Verkehrsbetriebe sondern auch das Wetter bezwingen will. Die noch nicht verstanden hat, dass manchmal ein bisschen Demut angebracht ist.

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Noch ein Stückchen. Ich überquere eine Landstraße. Der Schneepflug fährt vorbei und verwandelt die weiße Wattewelt in schmutziges Grau. Wie so oft auf meinen Wanderungen der letzten Wochen komme ich an einem Wegekreuz vorbei. Die Gegend hier ist christlich, katholisch, geprägt. Das fällt mir immer wieder auf. In der Stadt spielt das alles keine Rolle mehr. Da ist der Dom, die schönste Kirche der Welt, eher Weltkulturerbe als Gotteshaus, eher Touristenmagnet als Gebetsort. So ist es nun mal. Man mag darüber denken, was man will. Manchmal bedauere ich es, meist nehme ich es hin.

Ich gebe nicht schnell auf. Aber hier und heute ist es angebracht. Ich drehe um. Meine Fußspuren, die einzigen, sind schon zugeweht. Wieder im Ort, ist der Unterschied zwischen Straße und Gehweg nicht mehr zu erkennen. Winterwunderwelt. Die Kirchenglocken läuten den Mittag ein. Die Kirchentür ist nicht abgeschlossen. Die Krippe schon aufgebaut, die Fenster leuchten, niemand ist hier. Nur ich. Kein Klo. Mir bleibt nur die Kneipe von gegenüber. Die Herren am Kartentisch nehmen mich gar nicht wahr. Aber ich bin willkommen.

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Der Weg zurück nach Aachen ist ein kleines Abenteuer. Es war kurz. Aber schön. Die Route gefällt mir, ich werde wiederkommen. Ich fürchte, ich brauche eine Wanderhose.

Und während ich hier schreibe – im frisch renovierten Zimmer  – geht in Aachen der Schnee schon wieder in Regen über.