Allgemein · Hiking, Wandern, Unterwegs sein

Wanderung Nummer 27 : Die Rurauen

oder: Atemberaubende Aussichten.

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Auch heute fahre ich mit dem Zug. Es fühlt sich einfach besser an. Auto und Wandern – das passt für mich nicht richtig zusammen.

Auf die Deutsche Bahn ist kein Verlass. Bauarbeiten. Verspätungen. Zugausfälle.

Irgendwie komme ich bis Düren. Da wartet ganz geduldig die schnuckelige Rurtalbahn und nimmt mich und ein paar wenige weitere Wandergesellen freundlich mit.

Zerkall ist zum dritten Mal in meiner Wanderkarriere mein Ziel. Mein Anlauf- und mein Info-Punkt. Man rät mir heute – 10 Kilometer sollen es schon sein – zu Wanderung Nummer 27.

Das Wetter ist schön. Warm. Trocken. Es sprießt grün. Zitronenfalter und Bläulinge flattern herum. In den Bäumen summt es laut. Auf den Straßen knattern die Motorräder –  und rund um Nideggen stören sie später ganz gewaltig die Idylle. Das nennt man wohl Frühling.

Ein Stück des Weges kommt mir bekannt vor. Obwohl es über ein halbes Jahr her ist. Die „Nummer Sieben“, die „Felspassage“, auf der meine Karriere begonnen hat, hat sich mit der 27 zusammengetan. Die Rur plätschert rechts neben mir, es geht vorbei an Wiesen, Buschwindröschen überlegen noch, ob sie sich entfalten sollen – am Nachmittag komme ich an regelrechten Buschwindröschen-Teppichen vorbei – erste Löwenzähne leuchten gelb.

Ich erinnere mich an ein Examen in Biologie: Hundert Pflanzen, hundert Tiere wollten per Bild erkannt, benannt, klassifiziert werden. Eine Herkulesaufgabe für mich, die ich nach sieben Jahren nicht einmal alle Hausnachbarn den einzelnen Wohnungen zuordnen kann.

Namen wie „Gamander Ehrenpreis“, „Gundermann“ und „Scharbockskraut“ kommen mir in den Sinn, als ich gelbe und blaublühende Kräuter am Wegesrand entdecke. Na also, geht doch! Weiße und lilafarbene Taubnesseln kennt jedes Kind, Knoblauchrauke erkenne ich am Geruch der Blätter, nachdem ich sie zwischen den Fingern zerrieben habe.

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Keine Schneeglöckchen, keine Märzbecher mehr – die mit dem grünen Punkt. 😉 Aber meine Lieblingspflanze kommt aus ihrem winterlichen Rückzug hervor. Heute macht es wieder Spaß, das weiche Polster anzufassen. Dieses Grün!

Waldbaden“ nennen die Japaner den regelmäßigen Kontakt mit Bäumen, Sträuchern und Kräutern. Es soll gut sein für die Seele – ich bin der lebende Beweis dafür. Aber spätestens seit Deutschlands Oberförster Peter Wohlleben „Das geheime Leben der Bäume“ in die Welt hinausgeschrieben hat, schenkt man hierzulande dem Wald als Gesundbrunnen deutlich mehr Beachtung.

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Ich jedenfalls ertappe mich auch heute immer mal wieder beim breiten Grinsen. Und das, obwohl ich mir den Wald teilen muss: Jede Menge Menschen sind unterwegs. Drei alte Männer stehen wild gestikulierend auf dem Pfad unterhalb meines Picknick-Platzes. Ein Pärchen schickt seinen Golden Retriever mit einer Kamera auf dem Rücken durch die Büsche. Zwei junge Lebensmüde seilen sich von einem Buntsandstein-Felsen ab. Ein Dackel-Mix kläfft mich böse an, und ich beschließe nicht zum ersten Mal, dass ich meinen zukünftigen Hund erst einem Belltest unterziehen werde, um die Frequenz zu bestimmen, mit der er unterwegs ist, bevor er bei mir einziehen darf.

Der Weg heute ist schön. Unten idyllische Wiesen. Die Rur. Oben der Wald. Die Wärme sorgt dafür, dass die Kiefern duften wie die Pinien im Italienurlaub. Die Vögel holen den verkorksten März nach und singen sich die kleinen Seelen aus dem Federleib. Und dann treffe ich auf die ersten Felsen. Ganz unvermittelt türmen sie sich vor mir auf. Das Grau wechselt in Rot und Grün. Buntsandstein glitzert in der 🌞  wie Edward Cullen im Zwielicht oberhalb der Baumgrenze.

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Holzbänke auf Felsplattformen laden ein, den Blick schweifen zu lassen. Steinerne Stufen führen rund um die bunten Sandsteine herum, das „Hindenburgtor“ tut sich auf, in Stein gemeißelt der Name. Wieso hab ich ihn nicht bemerkt, als ich „die Sieben“ erwandert bin? Wieso Hindenburg? Ich lese nach, werde aber nicht fündig. In Deutschland gibt es viele Stellen, die seinen Namen tragen, aber das   Felsentor wird nirgends erwähnt.

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Mein kanadisches „Guck-dir-das-an-look-at-this!“ kommt mir heute ganz oft in den Sinn.

Wunderschön spektakulär ist es hier. Wenn nur die lärmenden Motorräder nicht wären, die mich immer wieder daran erinnern, dass der Wald als Rückzugsort mich nicht lange vor Alltagslärm und Unruhe schützen kann. Irgendwann bin ich wieder im Tal und laufe neben einem Bach her, der mehr moosige Felssteine als Wasser führt und wunderhübsch dahinplätschert.

Der Weg führt mich weg von der lauten Straße, die ich einmal unter Lebensgefahr überqueren muss. Dann wird es wieder stiller.

Die Wiesen, die Rur, Zerkall, die Bahn, mein Buch. Heute morgen habe ich damit angefangen, obwohl ich keine Lust auf Emanuel Bergmanns „Der Trick“ hatte, das mir meine Lesedamen geschenkt haben. Eine gute Wahl. Als ich abends nach Hause komme, habe ich jedenfalls nicht nur über 100 Bilder im Gepäck, sondern auch noch 128 Seiten intelligente Unterhaltung hinter mir.

Und über allem thronen die bunten Felsen.

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Wanderung Nummer 22 – Hammer

Okay. Ich verkneife mir an dieser Stelle das Wortspiel, das mir heute den ganzen Tag im Kopf herumspukt, auf meiner Zunge liegt, jetzt in meinen Fingern juckt und unbedingt in die Tastatur gehämmert werden will. Ich brauche einfach nur das Hinweisschild zur Dorfgaststätte zu erwähnen, der ich mangels des zu Hause vergessenen Romans – nie ohne Buch in eine unbekannte Kneipe! –  keine weitere Beachtung schenke: Bistro „Der Hammer“. Alles klar? Gut.

Meine minimalistische Blog-Gemeinde braucht also nicht den Kopf darüber zu schütteln, dass ich billigen Gags auf den Leim gehe. Allerdings ist Kopfschütteln heute wirklich angebracht. Während ich – die eine Hand am mitgebrachten Giraffenstock, die andere wahlweise am Geländer, an einem dünnen Baumstämmchen, auf dem Boden oder an den ziemlich reißfesten Zweigen eines immergrünen Ginsterbusches – schon am Anfang des Weges in einem Steilhang weder vor noch zurückkomme, weil ich mich seit genau einer Woche  eben nicht ordnungsgemäß bewegen kann – wird mir klar, dass ich einen Vollknall habe.

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Dabei bin ich extra bis ins fast schneefreie Tal gefahren, denn es ist Tauwetter, und tauender Schnee ist glatt und rutschig, und gerutscht bin ich letzte Woche schon. Am Anfang der Tour ist auch noch alles in Ordnung. Ich werfe einen Blick auf die Karte, stelle tatsächlich fest, dass ich gerade dabei bin, das Pferd wie so oft von hinten aufzuzäumen und gehe ausnahmsweise mal richtig rum, sodass ich die drei angegebenen Highlights in der korrekten Reihenfolge bewundern kann.

Das heißt: Ich gehe nicht. Zeitweise krabbele ich. Oder krieche. Und habe richtig Angst. Wenn ich hier noch mal hinknalle, abrutsche, in Schieflage gerate, sehe ich schwarz für meine alten Knochen.

Ist das jetzt Mut? Übermut? Dickköpfigkeit? Unnachgiebigkeit? Ein aufmunterndes „Weiter so!“ – wie bei der GroKo? Aus der Nummer hier komme ich ohne Verlust von Steißbein und Würde nicht mehr raus. Ich befinde mich – warum auch immer – auf einem steil nach oben führenden kurvigen und deshalb nicht einsehbaren Pfad. Nach etwa fünf Metern ist klar: Vor geht vielleicht noch,  zurück aber nicht mehr. Zu glatt. Ich entscheide mich für den Verlust von Würde. Warum in aller Welt tue ich mir das an? Einen Wanderschuh nach dem anderen setze ich in die rutschige, weiße Masse. Vorsichtig kämpfe ich mich nach oben. Ein Blick zurück und mir wird übel und klar, dass der nächste Anruf der Bergrettung gilt. Dabei ist das gar kein Berg. Nur ein äußerst glatter Hügel, überhaupt nicht geschaffen für nicht ganz dichte Menschen meiner Altersklasse. Mit der Nummer hätte ich genauso gut auf eine Karnevalssitzung gehen können. Für ein Bewerbungsfoto  habe ich keinen Nerv.

Oben atme ich auf. Wohl wissend, dass ich spätestens am Ende des Weges wieder nach unten muss.  Denn Hammer liegt tief unten im Tal. Deswegen hatte ich diesen Weg ja ausgesucht.

Wenn er nur nicht so verschneit und vereist wäre. Die ganze Wanderung über spukt mir die bange Frage im Kopf herum: Was, wenn ich mich am Ende dieses schönen Weges  in einer ähnlichen Hanglage befinde wie am Anfang? Autsch! Schon der Gedanke daran tut höllisch weh.

Tapfer laufe ich weiter. Es gibt viele vereiste Stellen, die gesundheitsgefährdende Rutschpartien versprechen. Ich komme nur langsam voran. Aber ganz unten, im Tal, zeigt der Winter noch einmal sein kreatives Potential. Eisblumen gibt’s nicht mehr, dafür aber Zapfen und schimmernde Skulpturen am Bachufer.

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Frierendes Wasser. Eiszeit.

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Ansonsten gibt es wenig helle Flecken. Dies sind die grauen Tage. Die Farben des letzten Jahres sind verblasst, ausgewaschen, müde geworden.  Grüner wird es heute nicht mehr.

Zeit für einen Neuanfang.

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Wanderung Nummer 13: Rund um den Püngelbach

Ach, es gäbe soooo viele Wandermöglichkeiten in der Eifel . . . aber der Winterbus ist eine seltene Angelegenheit. Es ist nicht einfach, der ASEAG zum Trotz auf Wanderkurs zu bleiben.

Da sind die freundlichen Damen des Heilsteinhauses in Einruhr weitaus hilfreicher. Ich bin inzwischen im Besitz einer „richtigen“ Wanderkarte – die zu lesen mir ähnlich schwer fällt wie der Stadtplan von Vancouver – und diverser kleiner und eher grob gezeichneter Wanderfaltblätter, die meinem wenig ausgeprägten Blick für die feinen Linien und Striche der erwähnten Wanderkarte deutlich eher entgegenkommen. Vielleicht liegt es auch an meinen Augen. Eine fette rote Linie, die sich in größeren Abständen mal in die eine, dann in die andere Kurve legt, ist für mich genau richtig. Wenn die rote Linie dann auch noch um einen blauen See führt, kann ich bei Fehlinterpretationen nur ins Wasser fallen. Und das versuche ich zu vermeiden.

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Die „Püngelbach“-Tour führt mich erst mal wieder raus aus Einruhr, über die Straße rüber und dann in den Wald. Schön hier. Nur der Püngelbach fehlt. Püngelbach. Was ist das für ein Wort? Als Kind kannte ich den Ausdruck „Pöngel“. Das war eine Art Bündel, ein Haufen von irgendwas. Bestimmt gibt es eine logische Erklärung, ganz sicher hat sich ein kluger Mensch etwas bei der Wassertaufe gedacht. Das online-Wörterbuch der „Westmünsterländischen Mundart“ gibt mir quasi Recht: Im Püngel konnte man mit einem Bündel voll Kleinkram durch die Lande ziehen, etwas verkaufen oder auch schmuggeln. Aber was schmuggelt ein Bach?

Ich klettere einen kleinen Hügel hoch, gucke runter auf den Ort, klettere höher und bin dann im Wald. Hinter mir folgt zwar nicht in Sicht- aber leider in Hörweite eine Vierergruppe junger Menschen, von denen eine ständig redet. Es dauert lange, bis ich außer Hörweite bin. Erst dann fange ich an, die Runde zu genießen – obwohl der Püngelbach immer noch durch Abwesenheit glänzt.  Da es keine Möglichkeit gab, mich zu verlaufen, nehme ich das fehlende Bachplätschern erstmal in Kauf.

Es ist kalt, grau und feucht heute. Aber es leuchtet grün. Habe ich mich hier schon als Moos-Fan geoutet? Ich kann mich gar nicht sattsehen. Moospolster auf Baumstämmen, auf Steinen, Sternmoos, Laubmoos, Moosteppiche.

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Ich sollte mich mal wieder mit der Moosbiologie befassen.

Manche sind zum Niederknien schön. Die Eifel ist katholisch.

Vor dem ersten Graupelschauer des Tages rette ich mich auf die Veranda einer Jagdhütte. Stilecht wacht ein Hirschgeweih über der Eingangstür.  Das Thermometer geht gegen Null. Der Himmel ist schneegrau. Mein Wetter.  Es graupelt zu wenig, um weiß zu werden. Aber als schneehungrige Städterin begrüße ich jedes einzelne Körnchen und freue mich.

Die Jagdhütte ist der Inbegriff von Biederkeit. Ich merke, dass ich mich nicht wohl fühle und weiter muss. Hier könnte sich gut eine düstere Geschichte abspielen, in der ich allerdings nicht für die Hauptrolle engagiert werden möchte. Und schon gar nicht für die Nebenrolle: das Opfer. Morbide Gedanken.

Die Einsamkeit ist es nicht, die mich stört. Ich habe keine Angst, alleine durch den Wald zu stapfen. Aber die Hütte ist nicht „Natur“. Sie ist Menschenwerk. Weg hier.

Wenn ich so im Nachhinein meine „schrägen“ Bilder betrachte, kann ich nicht mehr wirklich nachvollziehen, wieviel Freude ich beim Laufen durch den grauen Tag hatte. Viele kleine Schönheiten, die ich am Wegesrand entdecke, lassen sich mit meinen rudimentär vorhandenen fotografischen Fähigkeiten nicht ablichten. Schönheit liegt im Auge des Betrachters und ein zwischengeschaltetes Medium nimmt einiges von der Lebendigkeit weg, die beim näheren Hinsehen deutlich wird oder beim vorsichtigen Anstubsen mit dem Fuß eine Sporen- oder Staubwolke provoziert. Selbst in diesen feuchten Tagen.

Manchmal spiegelt sich ein Baum in einer Pfütze und macht erst auf diese Weise auf sich aufmerksam.

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Ich bin mir sicher, dass ich viele Dinge gar nicht entdecken würde, wäre ich nicht alleine hier. Nie fühle ich mich einsam. Immer lebendig. Obwohl die Natur um mich herum sich abwendet. Ich höre keinen Vogel, keine Maus huscht vorbei, kein Reh kreuzt meinen Weg. Wenig Menschen.

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Und da ist er endlich, der Püngelbach. Plätschert vor sich hin und nimmt höchstens ein paar Buchenblätter mit.

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