Allgemein · Hiking, Wandern, Unterwegs sein

Wanderung Nummer 18: „Auf den Spuren . . .

. . . des Venn-Apostels“ – so jedenfalls lautet der merkwürdige Titel der „Zeitungs-Route 6,“ die ich heute gelaufen bin. Da die Tour aus dem Archiv der Aachener Zeitung stammt, vermute ich, dass sich ein Volontär, betraut mit der Aufgabe „Find doch mal eine gute Überschrift – du hast Zeit bis morgen früh!“ mit den vielen christlich geprägten Gebäuden und Hinweisen am Wegesrand auseinandergesetzt und nach dem Genuss von zwei bis drei Gläsern billigen Weißweins mit dem Ergebnis ins Bett gegangen ist. Als er es dann auf den Schreibtisch seines Redakteurs gelegt hat, hatte dieser keine Zeit zur Ergebniskorrektur.  So wandele ich nun auf den Spuren ebendieses Apostels. Bisher kannte ich nur Judas und Co. Stephan ist ein Neuzugang für mich. Er war wohl Chef der Benediktinerabtei „Reichenstein“, die gerade von einem französischen Orden wieder aufgebaut wird.

Auch, wenn ich an dieser Stelle schon großspurig die Freuden grauer Wandertage gepriesen habe, bin ich froh über die Sonne, die – zuerst noch ganz verschämt – heute Morgen durch die Fenster scheint und meine Wohnung und mein Herz erwärmt. Damit die Nacht nicht ganz so kurz wurde, habe ich vorm Zubettgehen noch ein Auto gebucht. Unterwegs im Radio höre ich, dass die Sonne ☀️ heute „fast überall“ zu sehen sein wird. Ich fahre geradewegs in das „Fast“ hinein – hinter Roetgen steht eine Art dunkle Wand. Erst kurz vor Ende meiner Tour gibt die Sonne der Radiomoderatorin Recht – für höchstens fünf Minuten.

Mein Wanderweg beginnt in „Kalterherberg“ – und eigentlich kann man kaum etwas Anderes erwarten als Kälte und (Jugend)herbergen. Tatsächlich: Hier ist irgendwie die Zeit stehengeblieben. Es gibt noch Weihnachtsdeko und den Dorftannenbaum, und die Herberge, die ich am Ende meiner Spurenroute zwecks Bedürfnisbefriedigung aufsuche, riecht wie die Dorfkneipe meiner Jugend, in der ich an manchen Abenden einen „halben Liter Bier“ für meinen Vater holen musste. Der kleine, dicke Wirt, Herr C., hätte bei der „Me too“-Debatte einen herausragenden Platz eingenommen. Er ist schon lange tot. Das hat er nun davon. Vermutlich schmort er neben meinem aufgrund des gleichen Deliktes in die unterste Etage geschickten ebenfalls kleinen, dicken Großonkel Heinz, der alles begrapschte, was ihm unter die Finger kam. Es war diffus unangenehm, aber niemand dachte sich etwas dabei.

Beim Laufen wird mir klar, dass ich die Eifeltemperaturen immer noch unterschätze.  Oder, besser gesagt: überschätze. Auch, wenn ich heute die ein oder andere Meise, meist Kohl-, selten Blau-, entdecke und einige robuste Pflänzchen die nächste Jahreszeit schon zaghaft ankündigen: Der Frühling ist noch weit. Gar nicht mehr weit ist Belgien 🇧🇪, das Land, mit dem wir uns das „Venn“ teilen. Und neben dem Weg, der später an der ziemlich turbulenten Rur entlang geht, ist das Stück durchs Venn wie so oft der schönste Abschnitt.

Vorher aber werfe ich noch einen Blick auf den „Ruitzhof“ – der irgendwie „deutsch“ ist, aber in Belgien liegt –  und setze mich vorsichtig – arschkalt ist’s unterm Po – auf die äußerste Kante einer Bank, von der man einen wunderbar weiten Blick ins Tal und auf den nächsten Eifelhügel hat. Dort sehe ich von weitem den „Eifeldom“ – eigentlich St. Lambertus -, der äußerst imposant über Kalterherberg wacht. Immerhin, er steht noch. Was man vom „Immerather Dom“ nicht behaupten kann.

Der Weg, den ich heute laufe, hat viele Namen. Einer davon ist „Weg des Gedenkens“.

Mir ist nicht so ganz klar, wem ich hier gedenken soll, und so denke ich über die Pflanzen nach, die hier wachsen und ganz eindeutig den Wunsch haben, der Winter möge bald Geschichte sein. Eigentlich genial das Ganze. Die Lebensbedingungen sind schlecht, also zieht man sich zurück, bis es besser wird. Und dann kommt man wieder zum Vorschein. Geläutert und runderneuert und strahlender denn je.

Mein „Guck-dir-das-an“-Satz hat an dieser Stelle Gelegenheit, ausgerufen zu werden:

Ich klettere den „Richelsley“-Felsen hoch und stehe 31 Stufen höher unterm eisernen „Kreuz im Venn“. Schön ist es nicht. Aber „sechs Meter hoch und 1338 Kilogramm schwer“.  Auf der Rückseite des Felsen geht es richtig katholisch weiter und – bis auf die letzte Zeile – stimmt neben dem Reim auch der Rhythmus.

Ein Stückchen geht’s noch durch den Wald, dann bin ich im Tal der Rur ohne „H“. Dem Wanderfaltblatt mit dem sperrigen Namen entnehme ich, dass die Rur 165 Kilometer lang ist, im „Hohen Venn“ entspringt und erstmal 15 Kilometer durch Belgien fließt.

Die Rur ist ziemlich wild heute, nach all den Regenfällen der letzten Wochen. Sie gurgelt und plätschert und schäumt vor Lebensfreude. Ich überquere eine wackelige, morsch wirkende Brücke und als ich meinen Blick vom Fluss lösen kann, sehe ich tatsächlich ein Stückchen blauen Himmel.

Mehr Farbe gibt’s nur im „Eifeldom“.

 

 

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Wanderung Nummer 17: Westwall und Eifelkreuz

Ist das trostlos, heute! Fast fällt es mir schwer, meinen Wanderrucksack zu packen. Es ist klamm und feucht draußen, viel zu früh. Doch da kommt der Bus! Tatsächlich. Fast pünktlich. Das ist ein Zeichen. Der Tag wird bunt!

Eine knappe Stunde später stehe ich am Simmerather Bushof und halte Ausschau nach der für heute geplanten Wanderroute mit der Nummer 21, die ich eigentlich schon letzte Woche laufen wollte. In der Bäckerei „NOBIS“ guckt man mich verständnislos und ungläubig an, als ich nach dem Wanderweg-Einstieg frage. Ich gucke ähnlich ungläubig auf die mir allzu bekannten Muffins, die ich („Schoko-Kirsch oder Johannisbeer-Vanille?“) in der Bäckerei bei mir um die Ecke morgens um halb Acht immer im Doppelpack kaufe,  wenn einer meiner Schüler Geburtstag hat. Einen aus dem Doppelpack (Schoko-Kirsch) esse ich selbst. Macht im Jahr 27 Muffins. Die Zeiten der individuellen Backstuben sind ganz offensichtlich vorbei. Allerdings werde ich nach getaner Wanderung genau hier wieder einkehren, um in einem Schwarzwälder-Kirsch-Sahneberg zu versinken. Mit viel Kirschwasser. Den muss ich mir aber erst mal verdienen.

Die Tour beginnt an der Kirche, und auf meinem Weg dorthin begegnen mir typische Dorfmusiker mit Uniform und Instrument im Anschlag. Das „Wumm-Ta-Ta“ des Simmerather Musikvereins wird mich die halbe Wanderung über begleiten. Obwohl ich mich landschaftlich gesehen unendlich weit weg wähne, wummern die dunklen Töne durch den trüben Tag. Kirmes, Schützenfest, Dorfumzug gibt es immer noch. Aber heute?

Bevor es richtig los geht, muss ich ein ganzes Stück durch Simmerather Wohngebiete laufen, bis ich am Ortsausgang auf einen Weg stoße, der nach Wanderung aussieht. Das letzte Haus am Wegesrand ist die gelb-orange getünchte Anstalt, in der die Simmerather Jugend aufs wahre Leben vorbereitet wird. Ein bunter Betonklotz. Warum dürfen Kinder nicht in schönen Häusern lernen? Die gibt’s hier doch auch!

Ich verscheuche die Schul-Gedanken und konzentriere mich auf den Weg. Der Tag bleibt grau. Ich bleibe allein. Nur ganz entfernt läuft irgendwann ein riesiger blonder Hund mit einer passenden blonden Frau an der Leine vorbei. Gleiche Haarfarbe, gleiche Frisur.

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Relativ schnell treffe ich auf den Westwall. Auch, wenn ich inzwischen weiß, dass es sich hier nicht nur um ein paar Höckerchen handelt, die im Weg herumstehen, bin ich beeindruckt. Inzwischen ein Mahnmal für den Frieden ist der Anblick dennoch beklemmend. Der Weg verschwindet im Nirgendwo.

Die kurze Variante der Route bedeutet, dass ich auf der etwa 50 Zentimeter breiten Wallmauer herumlaufen soll. Ich mag nicht, das wird mir schnell klar. Zu deprimierend.

Also laufe ich die etwa 3 Kilometer längere Strecke und komme an der Antwort auf die Frage, ob ich auch in meiner Heimat eine Art „Canada-Feeling“ haben kann, schlicht und ergreifend vorbei. Yes, I can!

„Grandmother-Trees“ nennt unser aller Lieblingskanadier die halb-verrotteten Baumreste, auf denen die Enkelgeneration ins Licht der Welt guckt. Ja, klar, irgendwie sind Eifel-Bäume kleine Gartenzwerge im Vergleich zu denen, die er mir im „Cathedral’s Grove“ auf dem Weg nach Tofino gezeigt hat, aber wahre Größe zeigt sich manches Mal  im Verborgenen.

Auch hier plätschert und gurgelt es neben mir. Ich wate durch riesige Pfützen, überall rieselt und tropft es. Manchmal habe ich Schwierigkeiten, meine Wanderschuhe aus dem Matsch zu ziehen. Dieses Geräusch!

Es erinnert mich an eine viele Jahre zurückliegende Watt-Wanderung mit Freunden. Es ist Herbst, das Wetter ähnlich trübe und nass wie heute. Wir sind drei Paare, die zusammen Urlaub an der Nordsee machen. Einer der Männer hat sich mit seiner Frau verkracht und läuft demonstrativ im großen Bogen um uns und sie herum. Ein schmollender, erwachsener Mann. Da er dafür sorgt, dass er in Sichtweite bleibt – sonst könnten wir nicht sehen, wie tief getroffen er ist – erkennen wir auch, dass das heftige Winken, mit dem er irgendwann auf sich aufmerksam macht, keine Verbesserung seiner Laune bedeutet, sondern schlichtweg, dass er tief im Dreck steckt. Seine Frau wandert ungerührt weiter. Wir anderen versuchen, ihn aus dem Matsch zu ziehen. Das Ganze endet damit, dass die Gummistiefel dran glauben müssen. Er watet auf weißen Socken zurück ins Urlaubsparadies.

Mir steht nicht der Sinn nach dem  Verlust meiner Wanderschuhe, die mir  inzwischen regelrecht ans Herz gewachsen sind, und deshalb versuche auch ich mich im Bogenlaufen. Das ist noch schlimmer. Aber die Schlammschlacht lohnt sich:

Hier waren Biber am Werk! Und auch, wenn ich in der Zeitung gelesen habe, dass Biber sich in der Eifel wieder ansiedeln, nachdem sie jahrzehntelang verschwunden waren, hätte ich nicht damit gerechnet, dass sie ihre Spuren ausgerechnet in Simmerath hinterlassen. Die Biber selbst sehe ich nicht. Biber sind scheue Tiere. Im Gegensatz zu Ohrwürmern.  Die sind penetrant. Tagelang werden sie mir das Lied von den armen Bibern, die Fieber haben, vorsingen.

Ein weiteres Highlight ist der „Hexenplatz“. Ein bisschen unheimlich. Steht dort hinten nicht jemand auf dem Weg und schaut zu mir herüber? Ich zoome die Figur heran, kann aber nichts erkennen. Im Nachhinein kriege ich Gänsehaut.

Nicht unheimlich, sondern fast gefährlich wird meine Wandertour auf den Stegen, die durch ein Stück Venn-Moor führen. Die sind so rutschig wie die Aachener Eishalle, die heute den Namen des hiesigen Hitradios trägt und deshalb vermutlich nicht schöner aussieht als zu der Zeit, in der meine Kinder vergeblich versuchten, mich aufs offene Eis zu locken. Nein, hier kann man nicht wirklich tief fallen. Aber für einen Beinbruch könnte es durchaus reichen.

In „Paustenbach“, dem Ort, in dem einst der „Räuber Hotzenplotz“ die Erzieherin meiner Kinder auf der Fahrt ins Schullandheim zum Kaffee einlud, finde ich in 500 Metern Höhe das „Eifelkreuz“. Ein weiteres Mahnmal für den Frieden, errichtet aus der Dankbarkeit der Noch-einmal-Davongekommenen.

Am Schluss, kurz vor der Schwarzwälder Kirsch-Torte, treffe ich auf die Sternsinger. Vielleicht sind sie der Grund für das sonntägliche Wumm-Ta-Ta. Man weiß es nicht.

Ich darf nicht vergessen, das zu tun, was ich schon lange tun möchte: Noch mal nachlesen, warum Moose und Flechten so besonders sind. Ich hab’s mal gewusst. Einmal auffrischen, bitte.

 

Viel Grün für einen grauen Tag.

 

 

 

 

 

 

 

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Wanderung Nummer 16: Struffelt im Schnee

Ich habe Ferien. Und gute Vorsätze. Einer davon ist: einen Tag arbeiten, einen Tag ausruhen oder lesen oder schreiben oder . . . wandern.

Wochentags fahren die Busse recht häufig in die Eifel und so mache ich mich – zugegebenermaßen spät, aber gut gelaunt – kurz nach elf auf in Richtung Bushaltestelle. Dort warte ich auf den Bus. Der kommt nicht. Da ich sowohl ein phantasievoller als auch ein geduldiger Mensch bin, denke ich über all die Möglichkeiten nach, die dazu führen könnten, dass ein Bus verspätet ankommt. Mir fallen sehr viele Möglichkeiten ein, denn ich denke sehr lange nach. Eine halbe Stunde, um genau zu sein. Nach dieser halben Stunde gibt es nur noch eine Erklärung: Dieser Bus kommt gar nicht. Kein Problem, laut Plan ist jetzt der nächste dran. Zehn Minuten und gefühlte zehn „falsche“ Busse später gebe ich auf. Die ASEAG ist ein würdiger Gegner.  Sie versucht konsequent, mich davon zu überzeugen, dass Busse in die Eifel im Winter Zeit- und Geldverschwendung bedeuten. Da will im Winter niemand hin. Nur ich.

Ab nach Hause. Wieder rettet mich das Carsharing. Innerhalb von zehn Minuten sitze ich im Fiesta. Allerdings ist es jetzt Mittag und die Tour ab Simmerath, die ich mir für heute vorgenommen hatte, kann ich vergessen. Sie ist zu lang, um vor Einbruch der Dunkelheit das Auto wiederzufinden. Da fällt mir meine Wanderstrecke aus der Frühzeit ein: der Struffelt. Wer weiß, ob ich ohne die Struffelt-Erfahrung überhaupt so oft losgezogen wäre.

Also fahre ich nur bis Rott. An der Abzweigung vor der Himmelsleiter sieht es so winterlich weiß aus, dass ich im Nu versöhnt bin mit der Wander-Notlösung. Ich bin und bleibe ein Winterkind.

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Und da ich weiß, was mich erwartet, bin ich voller Vorfreude. Zuletzt war ich bei schönem Herbstwetter hier. Im Miniröckchen mit Turnschuhen. Mit Cailladou und Trauben im Rucksack. Heute sind es Weihnachtskekse und Schokolade.

Ich bin hier übrigens nicht alleine unterwegs. Es gibt noch mehr Menschen, die das  ausnahmsweise mal trockene Winterwetter nutzen wollen, um Weihnachtsstress und -speck loszuwerden.  Vermutlich haben sie keine Schokolade im Gepäck. Aber wie fast immer bin ich die einzig Alleinreisende. Und wie so oft denke ich, dass die einsame Wanderung die beste ist. Es hat etwas mit Meditation zu tun.

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Mir reicht es schon, im Vorübergehen den Austausch von Belanglosigkeiten in Form von Knödelrezepten mit anhören zu müssen, die in der Struffelt-Stille an bedauernswerte Mitwanderer weitergegeben werden. Mitten im Wald.

Ich laufe am kleinen See vorbei, der – fast zugefroren – silbergrau und still ist. Mir kommt Kate Winslet in den Sinn, die in dem Film, den ich gestern im Kino gesehen habe, in ein schneebedecktes Eisloch einbricht. Natürlich wird sie gerettet, aber der Schreck sitzt tief. Allein der Bilder wegen hat sich mein Kino-Besuch gelohnt: „The Mountain between us“ ist ein Film „Zwischen zwei Leben“.

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Viele Mitwanderer habe ich nicht, die meisten gehen ohnehin nur ein Wegstück und nicht die ganze Route. Aber wenn ich sie von weitem höre, versuche ich, den menschlichen Tönen zu entkommen: Meist hilft schneller sein, manchmal ist Stehenbleiben die bessere Alternative.

Ich weiß, dass irgendwann ein breiterer Bach im Weg liegen wird, und gehe routiniert und ohne auf die Zeichen achten zu müssen, drumherum. Auch dieses Mal spüre ich den Plätscherstress. Vielleicht kriege ich irgendwann mal raus, warum laute Wassergeräusche mir Angst machen. Vielleicht, weil sie alles Andere übertönen?

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Die Farben sind heute anders. Das Weiß des Schnees lässt manches bunter aussehen als es ist. Mir fällt auf, dass der kleine Bach, neben dem ich eine Zeitlang herlaufe, in einem gelben Bett fließt. Lehm und Ton.

An manchen Stellen tut mir der Waldboden Leid. Dort, wo ich vorsichtig durch Matschepampe waten muss, waren immer Maschinen am Werk. Sie reißen den Boden auf, und wenn er bluten könnte, wäre hier Rot die vorherrschende Farbe.

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Dann klart es auf. Der Himmel wird erst hellgrau, dann blau. Diese Farbe gab es länger nicht.

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Das schönste Stück ist das Stege-Stück durch’s Venn. Im Herbst war es schauriger hier, heute sind die Moorlöcher und -Leichen schneebedeckt: die Spinnenlor, der Gräberknecht, die schaurige Margret haben Ruhe.  Ein junger Mann, der einzige Alleinreisende außer mir, steht still und betrachtet die Landschaft.

Wie gut, dass ich heute hier gewesen bin. Zusammen mit der Sonne, die sich auf den Weg  macht, der Nacht zu weichen. Es ist fast halb Fünf, als ich am Auto bin. Gutes Timing.

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Wanderung Nummer 15: Die Kalltal-Keltzerbach-Route . . .

. . . oder: Auf der Suche nach der schwarzen Zwölf.

Ich wage es noch mal. Meine Sehnsucht nach Schnee und weihnachtlichen Wintergefühlen ist einfach zu groß.  Möglicherweise wiederhole ich den immer gleichen Fehler, aber das wird mir in der Schule schließlich auf jeder Deutschheft-Seite  konsequent vorgelebt. Ich kapere also einen Cambio-Fiesta und begebe mich – obwohl es anfängt zu schneien oder vielleicht auch gerade deshalb – zum zweiten Mal nach Lammersdorf, um die Tour mit der Nummer 12 komplett zu laufen. Und während ich über die Monschauer Straße raus aus der Stadt fahre, ändert die Welt ihre Unfarbe: Aus Dunkelgrau wird Hellgrau, aus Hellgrau wird Weiß. Eigentlich könnte ich das Auto sofort hier am Aachener Wald stehen lassen und los laufen. Denn auch hier ist Winter die vorherrschende Jahreszeit. Aber auch dieses Mal ist Selbsterkenntnis nicht der erste Weg zur Besserung: Einmal auf dem Holz-Weg, kehre ich nicht mehr um.

Im Nachhinein klopfe ich mir allerdings auf die Schulter: Als ich am Nachmittag die Monschauer Straße in umgekehrter Richtung fahre, ist die Welt rund um den Aachener Wald wieder dunkelgrau. Kein einziges weißes Fleckchen in Sicht. Was macht das schon? Ich habe bekommen, was ich wollte: einen schneeweißen Sonntag.

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Und einen stillen dazu. Denn – natürlich – läuft außer mir niemand bei diesem Wetter hier herum.

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Seltsamerweise kommt mir aber fast die ganze Strecke über jemand entgegen. Ich sehe nur seine Fußspuren – verkehrt herum. Den Menschen dazu sehe ich nicht. Dafür aber das hier:

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Ein Bär. Ganz eindeutig. Auf einem Bein.

Ich laufe auf zwei Beinen weiter und achte erstmal darauf, dass mir der Schnee nicht in die Wanderschuhe schwappt. Meine neue Wanderhose ist winddicht, aber irgendwie zu kurz für meine Socken. Brauche ich jetzt etwa Kniestrümpfe? Oder „Longsocks“? Es dauert nicht mehr lange, und mir wird ein unverbindliches Angebot für eine lebenslange Mitgliedschaft im Eifelverein ins Haus flattern. In der Rurtal-Bahn würde ich jedenfalls nicht mehr als völlig unerfahren auffallen.

Jetzt aber bin ich allein. Und ich finde es HERRLICH. Schnee knirscht unter meinen Füßen. Ich bin davon überzeugt, dass es auch andere Geräusche gibt, für die meine Ohren aber nicht empfindlich genug sind. Sie freuen sich über die Stille.

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Ich treffe auf den „Westwall“, der mir seit meiner Kindheit unter dem Namen „Höckerlinie“ bekannt ist, weil mein Vater als ehemaliger Bunker-Zerstörer liebend gerne seinen Bagger dazu benutzt hätte, jedes einzelne dieser Panzer aufhaltenden Höckerchen aus dem Boden zu reißen. Damit wäre der Westwall – oder zumindest Teile davon – endgültig Geschichte gewesen. Das ist er auch heute – aber anders: „Der Westwall, entlang der Westgrenze des Deutschen Reiches (bei den Alliierten auch unter dem Namen Siegfried-Linie bekannt), war ein über ca. 630 km verteiltes militärisches Verteidigungssystem, das aus über 18.000 Bunkern, Stollen sowie zahllosen Gräben und Panzersperren bestand. Er verlief von Kleve an der niederländischen Grenze in Richtung Süden bis an die Schweizer Grenze. Im Lauf der Zeit sind innerhalb der betonumfassten Flächen  der Höckerlinie kleine faszinierende Biotope entstanden.“ Die habe ich im Sommer auch schon im Aachener Wald entdeckt. Grün sind sie dort geworden, die alten grauen Höcker. Moosbezogene Schönheiten.

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So mit Schnee bedeckt wirken sie wie kleine, von Kindern (oder zeichnerisch begabten Menschen wie mir) gemalte Tannenbäumchen. Sehr unschuldig.

Ich stapfe weiter. Ein wenig kenne ich mich hier schon aus. Das ist auch gut so. Denn die schwarze Zwölf auf schneeweißem Grund ist in dieser Winterwunderwelt nicht immer leicht zu finden. Einige Male muss ich nach dem kleinen Schild fahnden, Schnee weg wischen, um die Zahlen freizulegen.

Neben mir plätschert es träge. Fließt kaltes Wasser langsamer als warmes? Ich werde meine Physiklehrer-Kollegen befragen müssen. Oder reicht mir die Antwort bei „gute frage.net“ aus? Dort hat jemand vor 8 Jahren auf eine ähnliche Frage geantwortet, dass Wasser bei 0 Grad am langsamsten fließt. Klingt irgendwie logisch. Darunter friert es schließlich zu Eis. Und Eis fließt nur im Sommer, wenn ich es nicht schnell genug von meinem „Hörnchen“ schlecke.

Nicht mal mit seinen Fragen ist man alleine.

Aber hier bin ich heute die Einzige, die dem langsamer werdenden Bachplätschern lauscht.

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Wo ist sie denn nun, die Talsperre, von der ich – seit zwanzig Jahren etwa zwanzig Kilometer weit weg wohnend – vorher noch nie gehört habe? Dem Bach kann ich schlecht folgen. Zumindest jetzt noch halte ich mich an die Schwarze Zwölf. Irgendwann werde ich allerdings mitten in einem Waldstück und vor der Frage stehen, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe, wenn ich schildergläubig durch das mir im Weg liegende Fließgewässer wate. Und das auch noch hügelabwärts. Tatsächlich, da ist sie wieder, die „Schwarze Zwölf“. Hinter dem Fließgewässer. Ich muss da durch. Zum Glück habe ich meine Schuhe vorher eingesprüht.

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Ein bisschen unheimlich ist mir hier zumute. Es ist nicht so kalt, dass ich im Frühjahr, wenn normale Menschen hier herumlaufen, als Ötzi-Weibchen auf dem Tisch eines bio-historisch interessierten Pathologen aufgetaut würde. Wahrscheinlich würde ich vorher ohnehin das Interesse des einbeinigen Bären auf mich gezogen haben. Es bleibt mir nichts anderes übrig: Ich suche mir einen Stock, auf den ich mich stützen kann. Ich überwinde meine Angst und das winzige Fließgewässer. Und denke daran, dass ich während meines Biologie-Studiums einen Kurs in „Limnologie“ belegen und mir eigens dafür Gummistiefel kaufen musste. Da stand ich nun, mitten in einem Aachener Bach,  umgeben von offensichtlich begeisterten Kommilitonen, und drehte Steine um, unter denen sich irgendwelche – hier kann ich’s ja sagen, liest ja keiner – eklige Egel oder wabbelige Würmer versteckt hielten, die ganz bestimmt nicht von mir gefunden werden wollten. Ich habe diesen Zweig der Wissenschaft nicht weiter verfolgt, sondern mich den „Staatenbildenden Insekten“ zugewandt. Den Waldameisen und fleißigen Bienen.

Dafür verfolge ich jetzt zur Abwechslung mal einen richtigen Weg, auf den ich als Belohnung für meinen Mut gestoßen bin.

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Das Leben kann so einfach sein.

Und da ist sie, die Kalltalsperre. Eisgrau schimmert sie durch die kahlen Bäume. Ich hole meine winzige Wanderkarte heraus und stelle nach längerem Hinsehen, nach Drehen und Wenden und noch längerem Grübeln fest, dass ich den Weg ab Lammersdorf in umgekehrter Richtung genommen habe. Macht aber nichts. Verkehrt herum ist auch schön. Allerdings erklärt es die mir entgegenkommenden Fußspuren.

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Hier, auf dem Weg, ist es irgendwie heimelig.  Ich treffe auf eine Art „Reihenhaus-Siedlung“. Die Häuschen sehen alle gleich aus. Und sehr ordentlich deutsch. Die geraden Hausnummern rechts, die ungeraden links. Ob die Bewohner Zahlen lesen können?

Ein Stückchen laufe ich an der Talsperre entlang. Und entdecke tatsächlich Hinweise, die  auch auf der Zwölfer-Karte eingezeichnet sind. Es ist noch ein weiter Weg bis zum Ziel.

Ich lande wieder im Wald. Es geht aufwärts, raus aus dem Kalltal. Ich gerate ins Schwitzen. Oben angekommen teile ich in einem der seltenen Netz-Momente meine Freude über die um mich herum zu sehende Pracht meiner Freundin mit, mit der ich am späten Nachmittag auf dem Aachener Tivoli zum Weihnachtssingen verabredet bin. Immerhin weiß sie jetzt, wo man den Suchtrupp hinschicken müsste, wenn ich nicht pünktlich zum „Oh du Fröhliche“ auf den schwarz-gelben Rängen erscheine. Weg mit dem Handy, weg mit der Zivilisation. Ich bin wieder allein. Das Netz ist verschwunden. Der Nebel lichtet sich.

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Menschliche Spuren sind selten. Tierische auch.

Noch eine ganze Weile wandere ich durch die weiß gewordene Welt. Erst in Ortsnähe von Lammersdorf treffe ich auf meine Spezies, den Schlitten im Schlepptau.  Das Auto bleibt nicht auf dem Schneeparkplatz stecken, die Straßen sind frei geräumt. Ich komme rechtzeitig zum Singen wieder in Aachen an. Vorweihnachtlicher kann ein Tag nicht sein.

 

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Wanderung Nummer 14: Der Kalltal-Weg

. . . oder: Der Versuch zählt!

Heute boykottiert die ASEAG meine Wanderambitionen: Eher zufällig stelle ich fest, dass die in der Aachener Zeitung schon heftig diskutierte und ziemlich negativ bewertete Fahrplanänderung auch „meine“ Linie SB63 betrifft. Und zwar seit heute. Na super! Ein Auto muss her. Auf das Carsharing-System ist wie immer Verlass: In nicht mal einer Minute habe ich „mein“ Auto gebucht.

Der Wetterbericht ist – je nach Sichtweise – vielversprechend bis furchtbar. Schnee (jaaaa!) und stürmische Zeiten (uppps! Da fliegen die Äste, und die Bäume kippen um!) werden vorhergesagt. Soll ich? Soll ich nicht?

Da ich den letzten Sonntag – angesichts der für gestern geplanten Renovierungsarbeiten in der Wohnung, die ich eigentlich in Kürze verlassen wollte – im Schwedischen Möbelhaus statt in freier Natur verbringen musste – immerhin: Holz gibt’s da auch – bin ich gnadenlos. Was machen mir schon ein paar Schneeflocken aus? Wie alle Winterkinder liebe ich Schnee. Und es gibt ihn hier immer seltener. Im letzten Winter habe ich kein Flöckchen gesehen. Zumindest erinnere ich mich nur an „uselige“ graue Stadt-Tage.

Das wird heute ganz anders. Frohen Mutes wandere ich – erste Aachener Flocken in Sicht – zum Autoparkplatz und fahre los nach Lammersdorf. Dort nämlich startet die fast zwölf Kilometer lange „Kalltal-Keltzerbach-Route“, die ich mir – gegen jegliche Vernunft – für heute vorgenommen habe.

Unterwegs schneit es heftig. Das Auto-Außen-Thermometer vermeldet minus zwei Grad. Der Schnee bleibt liegen. In Nullkommanix sind die Straßen weiß. Und ich bin mitten drauf! Seit wie vielen Jahren bin ich nicht mehr auf einer Schneedecke gefahren? Kann ich das überhaupt noch? Bin ich zu schnell unterwegs? Oder eher zu langsam? Was will der Typ mit dem dicken Jeep hinter mir? Ich ignoriere ihn und schleiche weiter. Lieber lebend als gar nicht ankommen. Oben, an „Fringshaus“, am Ende der „Himmelsleiter“, ist richtiger Winter. Das war es doch, was ich wollte. Oder?

Irgendwie schaffe ich es bis Lammersdorf. Ich parke an der Kirche und habe erst mal Hunger. Dann suche ich das Wanderroutenschild mit der Nummer 12 und stapfe los. Ganz Lammersdorf ist ein Bilderbuch-Weihnachtsdorf.

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Ich denke an Astrid Lindgrens „Bullerbü“. Die pure Kindheitsidylle. So will man als Kind leben. Davon träumt man als Erwachsener. Man fährt nach Schweden und besucht das Filmdorf. Man bestaunt die roten Holzhäuschen und fragt sich, ob die Menschen, die dort wohnen, glücklicher sind als man selbst. Man drückt sich die Nasen platt an Immobilien-Schaufenstern und surft durchs weltweite Netz, um nach Häusern am schwedischen See zu suchen. Und dann läuft man durch die Eifel – keine halbe Stunde entfernt von „zu Hause“ – und findet das alles in nächster Nähe. Und nun? Ist „Smaland“ besser als die Eifel? Zumindest klingt es schöner.

Der Weg führt mich aus dem Ort heraus, und hier ist es richtig Winter. Es sieht wunderschön aus, zumindest das, was ich durch die Schneeflocken erkennen kann. Hui! Hier pfeift es ganz schön. Der Wind pustet mir kleine Eiskristalle ins Gesicht. So müssen sich Himalaya-Bergsteiger fühlen. Vor allem meine Beine in den durchlöcherten Jeans fühlen sich so an, als seien Erfrierungen der nächste Schritt in Richtung Wahnsinn. Natürlich bin ich alleine. Meine Füße stapfen durch jungfräulich reinen Schnee.

Manchmal sinken sie auch darin ein. Schneeverwehungen. Die bisher theoretisch gewusste Bedeutung der Eifeler Buchenhecken wird mir praktisch klar, als eine davon sich zwischen mich und die Ebene schiebt: Der Wind und damit die kleinen Nadelstiche ins Gesicht werden ausgeschlossen. Ich atme durch.

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Was ich von Anfang an geahnt habe, verdichtet sich nach und nach zur Gewissheit: Hier heute alleine herumzulaufen, ist vollkommen idiotisch! Ich merke, dass ich ängstlich werde. Das hab ich schon öfter festgestellt: Es liegt an den Geräuschen. Auch, wenn sie noch so schön klingen, krampft sich eine winzige Magenecke zusammen. Lautes Bachgeplätscher, Windwehen, Schneekristallflirren, Baumächzen. Natürlich sind manche Sorgen berechtigt. Ich möchte ungern unter einem herabfallenden Ast enden. Noch eine Viertelstunde. Dann entscheide ich mich für Fortsetzung oder Abbruch.

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Es ist schön hier. Keine Frage. Ich brauche keine Sonne, um loszulaufen. Schwarz, weiß, grau hat so viele Nuancen. Es gibt so wenige Gelegenheiten, erste Fußspuren zu hinterlassen.

Ein wieherndes Wesen begrüßt mich. Vermutlich hält es mich für eine Futterüberbringerin. Tut mir Leid, ich bin nur eine Wandersfrau, die nicht ganz bei Trost ist. Die nicht nur die Aachener Verkehrsbetriebe sondern auch das Wetter bezwingen will. Die noch nicht verstanden hat, dass manchmal ein bisschen Demut angebracht ist.

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Noch ein Stückchen. Ich überquere eine Landstraße. Der Schneepflug fährt vorbei und verwandelt die weiße Wattewelt in schmutziges Grau. Wie so oft auf meinen Wanderungen der letzten Wochen komme ich an einem Wegekreuz vorbei. Die Gegend hier ist christlich, katholisch, geprägt. Das fällt mir immer wieder auf. In der Stadt spielt das alles keine Rolle mehr. Da ist der Dom, die schönste Kirche der Welt, eher Weltkulturerbe als Gotteshaus, eher Touristenmagnet als Gebetsort. So ist es nun mal. Man mag darüber denken, was man will. Manchmal bedauere ich es, meist nehme ich es hin.

Ich gebe nicht schnell auf. Aber hier und heute ist es angebracht. Ich drehe um. Meine Fußspuren, die einzigen, sind schon zugeweht. Wieder im Ort, ist der Unterschied zwischen Straße und Gehweg nicht mehr zu erkennen. Winterwunderwelt. Die Kirchenglocken läuten den Mittag ein. Die Kirchentür ist nicht abgeschlossen. Die Krippe schon aufgebaut, die Fenster leuchten, niemand ist hier. Nur ich. Kein Klo. Mir bleibt nur die Kneipe von gegenüber. Die Herren am Kartentisch nehmen mich gar nicht wahr. Aber ich bin willkommen.

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Der Weg zurück nach Aachen ist ein kleines Abenteuer. Es war kurz. Aber schön. Die Route gefällt mir, ich werde wiederkommen. Ich fürchte, ich brauche eine Wanderhose.

Und während ich hier schreibe – im frisch renovierten Zimmer  – geht in Aachen der Schnee schon wieder in Regen über.