Allgemein · Canada, my love · Hiking, Wandern, Unterwegs sein

Wanderung Nummer 17: Westwall und Eifelkreuz

Ist das trostlos, heute! Fast fällt es mir schwer, meinen Wanderrucksack zu packen. Es ist klamm und feucht draußen, viel zu früh. Doch da kommt der Bus! Tatsächlich. Fast pünktlich. Das ist ein Zeichen. Der Tag wird bunt!

Eine knappe Stunde später stehe ich am Simmerather Bushof und halte Ausschau nach der für heute geplanten Wanderroute mit der Nummer 21, die ich eigentlich schon letzte Woche laufen wollte. In der Bäckerei „NOBIS“ guckt man mich verständnislos und ungläubig an, als ich nach dem Wanderweg-Einstieg frage. Ich gucke ähnlich ungläubig auf die mir allzu bekannten Muffins, die ich („Schoko-Kirsch oder Johannisbeer-Vanille?“) in der Bäckerei bei mir um die Ecke morgens um halb Acht immer im Doppelpack kaufe,  wenn einer meiner Schüler Geburtstag hat. Einen aus dem Doppelpack (Schoko-Kirsch) esse ich selbst. Macht im Jahr 27 Muffins. Die Zeiten der individuellen Backstuben sind ganz offensichtlich vorbei. Allerdings werde ich nach getaner Wanderung genau hier wieder einkehren, um in einem Schwarzwälder-Kirsch-Sahneberg zu versinken. Mit viel Kirschwasser. Den muss ich mir aber erst mal verdienen.

Die Tour beginnt an der Kirche, und auf meinem Weg dorthin begegnen mir typische Dorfmusiker mit Uniform und Instrument im Anschlag. Das „Wumm-Ta-Ta“ des Simmerather Musikvereins wird mich die halbe Wanderung über begleiten. Obwohl ich mich landschaftlich gesehen unendlich weit weg wähne, wummern die dunklen Töne durch den trüben Tag. Kirmes, Schützenfest, Dorfumzug gibt es immer noch. Aber heute?

Bevor es richtig los geht, muss ich ein ganzes Stück durch Simmerather Wohngebiete laufen, bis ich am Ortsausgang auf einen Weg stoße, der nach Wanderung aussieht. Das letzte Haus am Wegesrand ist die gelb-orange getünchte Anstalt, in der die Simmerather Jugend aufs wahre Leben vorbereitet wird. Ein bunter Betonklotz. Warum dürfen Kinder nicht in schönen Häusern lernen? Die gibt’s hier doch auch!

Ich verscheuche die Schul-Gedanken und konzentriere mich auf den Weg. Der Tag bleibt grau. Ich bleibe allein. Nur ganz entfernt läuft irgendwann ein riesiger blonder Hund mit einer passenden blonden Frau an der Leine vorbei. Gleiche Haarfarbe, gleiche Frisur.

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Relativ schnell treffe ich auf den Westwall. Auch, wenn ich inzwischen weiß, dass es sich hier nicht nur um ein paar Höckerchen handelt, die im Weg herumstehen, bin ich beeindruckt. Inzwischen ein Mahnmal für den Frieden ist der Anblick dennoch beklemmend. Der Weg verschwindet im Nirgendwo.

Die kurze Variante der Route bedeutet, dass ich auf der etwa 50 Zentimeter breiten Wallmauer herumlaufen soll. Ich mag nicht, das wird mir schnell klar. Zu deprimierend.

Also laufe ich die etwa 3 Kilometer längere Strecke und komme an der Antwort auf die Frage, ob ich auch in meiner Heimat eine Art „Canada-Feeling“ haben kann, schlicht und ergreifend vorbei. Yes, I can!

„Grandmother-Trees“ nennt unser aller Lieblingskanadier die halb-verrotteten Baumreste, auf denen die Enkelgeneration ins Licht der Welt guckt. Ja, klar, irgendwie sind Eifel-Bäume kleine Gartenzwerge im Vergleich zu denen, die er mir im „Cathedral’s Grove“ auf dem Weg nach Tofino gezeigt hat, aber wahre Größe zeigt sich manches Mal  im Verborgenen.

Auch hier plätschert und gurgelt es neben mir. Ich wate durch riesige Pfützen, überall rieselt und tropft es. Manchmal habe ich Schwierigkeiten, meine Wanderschuhe aus dem Matsch zu ziehen. Dieses Geräusch!

Es erinnert mich an eine viele Jahre zurückliegende Watt-Wanderung mit Freunden. Es ist Herbst, das Wetter ähnlich trübe und nass wie heute. Wir sind drei Paare, die zusammen Urlaub an der Nordsee machen. Einer der Männer hat sich mit seiner Frau verkracht und läuft demonstrativ im großen Bogen um uns und sie herum. Ein schmollender, erwachsener Mann. Da er dafür sorgt, dass er in Sichtweite bleibt – sonst könnten wir nicht sehen, wie tief getroffen er ist – erkennen wir auch, dass das heftige Winken, mit dem er irgendwann auf sich aufmerksam macht, keine Verbesserung seiner Laune bedeutet, sondern schlichtweg, dass er tief im Dreck steckt. Seine Frau wandert ungerührt weiter. Wir anderen versuchen, ihn aus dem Matsch zu ziehen. Das Ganze endet damit, dass die Gummistiefel dran glauben müssen. Er watet auf weißen Socken zurück ins Urlaubsparadies.

Mir steht nicht der Sinn nach dem  Verlust meiner Wanderschuhe, die mir  inzwischen regelrecht ans Herz gewachsen sind, und deshalb versuche auch ich mich im Bogenlaufen. Das ist noch schlimmer. Aber die Schlammschlacht lohnt sich:

Hier waren Biber am Werk! Und auch, wenn ich in der Zeitung gelesen habe, dass Biber sich in der Eifel wieder ansiedeln, nachdem sie jahrzehntelang verschwunden waren, hätte ich nicht damit gerechnet, dass sie ihre Spuren ausgerechnet in Simmerath hinterlassen. Die Biber selbst sehe ich nicht. Biber sind scheue Tiere. Im Gegensatz zu Ohrwürmern.  Die sind penetrant. Tagelang werden sie mir das Lied von den armen Bibern, die Fieber haben, vorsingen.

Ein weiteres Highlight ist der „Hexenplatz“. Ein bisschen unheimlich. Steht dort hinten nicht jemand auf dem Weg und schaut zu mir herüber? Ich zoome die Figur heran, kann aber nichts erkennen. Im Nachhinein kriege ich Gänsehaut.

Nicht unheimlich, sondern fast gefährlich wird meine Wandertour auf den Stegen, die durch ein Stück Venn-Moor führen. Die sind so rutschig wie die Aachener Eishalle, die heute den Namen des hiesigen Hitradios trägt und deshalb vermutlich nicht schöner aussieht als zu der Zeit, in der meine Kinder vergeblich versuchten, mich aufs offene Eis zu locken. Nein, hier kann man nicht wirklich tief fallen. Aber für einen Beinbruch könnte es durchaus reichen.

In „Paustenbach“, dem Ort, in dem einst der „Räuber Hotzenplotz“ die Erzieherin meiner Kinder auf der Fahrt ins Schullandheim zum Kaffee einlud, finde ich in 500 Metern Höhe das „Eifelkreuz“. Ein weiteres Mahnmal für den Frieden, errichtet aus der Dankbarkeit der Noch-einmal-Davongekommenen.

Am Schluss, kurz vor der Schwarzwälder Kirsch-Torte, treffe ich auf die Sternsinger. Vielleicht sind sie der Grund für das sonntägliche Wumm-Ta-Ta. Man weiß es nicht.

Ich darf nicht vergessen, das zu tun, was ich schon lange tun möchte: Noch mal nachlesen, warum Moose und Flechten so besonders sind. Ich hab’s mal gewusst. Einmal auffrischen, bitte.

 

Viel Grün für einen grauen Tag.

 

 

 

 

 

 

 

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Verbindungen II

– Wolfgarten – Vancouver-Island –

Auf meiner Wanderung Nummer 10 – von Gemünd und wieder zurück – finde ich diese Holzskulptur. Ein grauer, aber freundlicher Kappenträger.

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Noch kein Totempfahl. Aber bestimmt steckt auch hier eine Geschichte dahinter. Wirklich weit reisen muss ich nicht, um besondere Begegnungen zu haben.

 

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Der „Sea-to-Sky-Highway“

Vor fünf Jahren war ich zum ersten Mal in Kanada. Genauer gesagt, auf einer winzigen Insel in Kanada: auf Salt Spring Island.

Ich bin nicht die einzige Aachenerin, die dort – wenn auch nur für kurze Zeit – gelandet ist, ihre Liebe zu Land und Leuten, zu Meer und Wald, zu „Slow-Down“ und Gelassenheit entdeckt hat und  „Salt Spring“ nun als Synonym für all das benutzt.

Es war die Reise meines Lebens.

Seitdem bin ich vier Mal in British Columbia gewesen. Und eigentlich brauche ich dort zum Glücklichsein nur eines von Beidem: ein ruhiges Plätzchen im Wald oder am Meer.

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Dennoch siegt hier und da die Abenteuer- und Entdeckungslust über die Bescheidenheit. In diesem Sommer war ich deshalb zusammen mit meiner immer noch sehr jungen ältesten Tochter auf dem „Sea-to-Sky-Highway“ unterwegs. Nur ein paar Tage, aber mit nachhaltigen, wunderbaren Eindrücken.

Wir starten auf Vancouver Island und fahren mit dem nagelneuen Mietauto und wenig Gepäck mit BC Ferries nach Tsawwassen. Tsawwassen. Wie das klingt! Mein äußerst rudimentäres Wissen über die „First Nations“ – bezogen aus Wikipedia- oder ähnlichen Artikeln – sagt mir, dass die „Tsawwassen“ ein Stamm der Salish sind und der Name des Fährterminals ihnen somit im freundlichsten Fall wohl eine Art „Denkmal“ setzt. Ich habe drei Jahre gebraucht, um dem Namen beim Aussprechen einen einigermaßen angemessenen Klang geben zu können.

Die hier an anderer Stelle bereits erwähnten Schwierigkeiten, eine Wanderkarte zu lesen, lassen ahnen, welchen Respekt ich angesichts einer kanadischen Map durch British Columbia und insbesondere vor einem Stadtplan der Weltstadt Vancouver hege. Ja, ich weiß, es gibt GPS. Ein „Navi“ im Mietauto ist aber ein teures Zusatzgerät, und das Mietauto selbst ist angesichts der Jahreszeit schon teuer genug. Aber ich habe ja meine im Computer-Zeitalter groß gewordene Tochter und ihr Handy. Das ist äußerst beruhigend. Sie lotst uns beide vom Ferry-Terminal mitten durch Vancouver hindurch auf den Highway 99. Wir verfahren uns nur ein einziges Mal. Und zwar, weil ich mit meinen fundamentalen Kenntnissen der Gegend die GPS-Kompetenz meiner Tochter in Frage stelle. Danach halte ich demütig meinen Mund. Zumindest, wenn es um die Fahrtroute geht.

Ansonsten entfährt mir immer und immer wieder der für meine BC-Besuche fast schon legendäre Ausspruch: „Guck dir das an!!!“ – manches Mal begleitet von einem „Unglaublich!“

Tag 1: Victoria – Vancouver – Capilano-Suspension-Brigde – Squamish

Ganz ungewöhnlich für meine kanadischen Sommer-Erfahrungen ist der Himmel heute eher grau und ein wenig trübe. Ich entspanne mich ein wenig, als wir Vancouver hinter uns gelassen haben. Eigentlich war es gar nicht schwierig, hier durchzufinden. Wer deutsche Städte gewohnt ist, weiß die vergleichsweise leeren, oft im rechten Winkel zueinander liegenden Straßen, die an den Kreuzungen hängenden gut lesbaren Schilder mit den Straßennamen, die gelassenere Fahrweise sehr zu schätzen.

Unser heutiges Ziel ist Squamish, dort habe ich über „AirB’nB“ zwei Nächte bei Colette gebucht, unsere Tagesetappe beträgt ab jetzt nur noch gut 60 Kilometer. Als deutsche Autobahnfahrerin war ich bei der Planung der Tour über die Informationen auf der „Hello-BC“-Seite bezüglich der Zeitangaben sehr überrascht: Viereinhalb Stunden? Für das Stückchen? Selbst auf Landstraßen brauchen wir – Stau-Zeiten mal außer Acht gelassen – kaum eine Stunde für eine solche Strecke. Hier aber dauert alles deutlich länger, denn „German Autobahn“ und „Highway“, das sind zwei völlig unterschiedliche Straßentypen.

Meine Tochter hat sich ebenfalls über die Strecke informiert und hat ein Zwischenziel aufgetan, das wir uns unbedingt ansehen wollen: Die Capilano-Suspension-Bridge, eine Hängebrücke, die von abenteuerlustigen Pionieren im 19. Jahrhundert wie auch immer über ein beeindruckendes Tal gebaut worden ist. Als wir uns diesem Ziel nähern, geraten wir in einen kanadischen Stau. Eine lange Autoschlange von anderen Hängebrücken-Interessenten wälzt sich durch die Straßen in Richtung Parkplätze. Die sind alle besetzt und so werden wir nach außerhalb dirigiert und genießen einen Shuttle-Service zur eigentlichen Attraktion.

Auch hier stehen wir zunächst wieder in einer Schlange. Das gibt uns Zeit für die alten Geschichten der First Nations.

 

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Die ersten Totempfähle meines Lebens habe ich in Victoria gesehen. Viele weitere dieser Schönheiten stehen in Duncan. Aber davon an anderer Stelle mehr.

Die Schlange rückt vor, die Bridge kommt in Sicht. Oder, um es genauer zu sagen: Die Menschen auf der Brücke kommen in Sicht. Manche gucken ganz cool, andere eher ängstlich, wieder andere kreischen, ob vor Angst oder Vergnügen kann ich nicht erkennen.

Die Brücke ist spektakulär, das muss man sagen. Natürlich gibt es rund um die Bridge jede Menge Tafeln mit Erklärungen darüber, wie sie gebaut worden ist. Aber richtig vorstellen kann ich mir so etwas nicht.

Mir reicht es schon, das Tal über die Brücke zu überqueren. Ganz schön wackelig! Aber wirklich schwingen tut die Brücke nicht, dazu ist sie viel zu voll. Wer hat eigentlich getestet, ob die Statik dieser Menschenmasse gewachsen ist?

Auf der anderen Seite laufen wir durch ein Stückchen Wald, mal mit festem Boden unter den Füßen, mal auf Pfaden durch die Baumwipfel. Es ist schön hier, trotz der vielen Mitmenschen.

Beim Allerweltslexikon „Wikipedia“ lese ich noch einmal die Geschichte der Bridge nach und erfahre, dass sie vom schottischen Ingenieur George Grant Mackay im Jahr 1888 über den Capilano-River gebaut wurde.  Wie immer bei Bauwerken, die zu Weltruhm gelangen, geraten die Namen der Menschen, die wirklich und wahrhaftig GEBAUT und oft genug dabei ihre Gesundheit, wenn nicht sogar ihr Leben in die Waagschale geworfen haben, in Vergessenheit: Über die Sherpas, ohne die kein Bergsteiger oben auf dem Mount Everest gestanden hat, wird nur als Lastenträger berichtet. Hier ist es nicht anders: Mackay spannte „(…) unter Mithilfe von zwei ortsansässigen Indianern und Zugpferden eine Seilbrücke aus Zedernholzplanken und Tauen aus Hanf über den Fluss.“

Aber es gibt ja auch noch andere Informationsquellen, und da taucht dann wenigstens ein weiterer Name auf: „In 1889 he suspended a footbridge made of hemp rope and cedar planks across the canyon with the help of August Jack Khahtsahlano and a team of horses who swam the ropes across the river. The ropes were then pulled up the other side and anchored to huge buried cedar logs.“  (http://www.west-kanada.info/capilano-suspension-bridge.html)

Aus Hanf und Zedernholz besteht diese Brücke aber nun nicht mehr: Sie wurde 1956 innerhalb von wenigen Tagen aus Beton und Stahl neu gebaut. Sonst würde sie wohl kaum den Besuchermassen standhalten, die sich offensichtlich täglich hinüberwälzen.

Ein schöner, spektakulärer Ausflug endet in strömendem Regen.

Schon bei unserer Weiterfahrt in Richtung Squamish klart es auf. Es wird in den nächsten drei Wochen keinen Regentropfen mehr geben. Aber ein paar graue Tage. BC brennt.

Heute wird der Himmel wieder blau und wir fahren den Highway 99 hoch in Richtung „Sky“. Links unten schimmert der Pazifik, zuerst flaschengrün, später blau. Rechts neben uns die Berge, steingrau, mit schneeweißen Flecken, die immer größer werden.

Squamish ist keine „Stadt“ im europäischen Sinne. Oder .  .  . vielleicht doch. Aus Schweden kenne ich solche Orte, die irgendwie kernlos sind. Squamish liegt rechts und links des Highways. Links die Geschäfte, Shops, Restaurants, Cafés. Rechts, ein Stückchen weiter hoch, die Häuser, manche mit Nachbarschaft, manche  einsamer, alles verstreut.

Wir landen bei Colette:

Sie ist nicht da. Schlüsselinstruktionen kommen pünktlich per SMS. Wir haben zwei Tage lang das wunderschöne, liebevoll eingerichtete Haus für uns. Und den Garten. Und die Katze.

 

Am Abend finden wir ein spektakuläres Plätzchen in einem Restaurant am Squamish River. Kanadischer könnte es nicht sein. Das Holz-Deck, die einfachen Möbel, die karierten Hemden, das Bier, richtige Burger 🍔, meiner mit Salmon.

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Und dann der Blick:

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Es könnte uns nicht besser gehen!