Allgemein · Hiking, Wandern, Unterwegs sein

Die 19. Wanderung: Der Panoramaweg

. . . oder: Dreizehn ist eine Unglückszahl!

Heute versuche ich es erst gar nicht mit der ASEAG. Meine Recherchen ergeben wie immer, dass ich zwar hinkomme in die Eifel, aber nicht mehr zurück. Oder zu so schrägen Zeiten, dass ich die Wanderwege im Galopp nehmen müsste.

Alle Medien vermelden Gefahr im Wald: „Friederike“ hat unter den Bäumen und Sträuchern gewütet, der Boden ist aufgeweicht, und nur Lebensmüde stellen sich unter ein schneelastiges Gewächs und warten dort auf einen Wink des Schicksals.

Vor „Friederike“ habe ich nur bedingt Respekt. Sie wurde bereits am Donnerstag von mir bezwungen, als ich pflichtbewusst mein gemütliches Zuhause verlassen habe, um – gegen jedwede Vernunft – quasi „im Auge des Sturms“ – zur Schule zu wandern. Die Bäume bogen sich, und mir entgegen kam ein recht vergnügter Fünftklässler, der – statt die städtische Anordnung zu befolgen, sich auf direktem Weg nach Hause zu begeben – durchs Viertel streifte. In der Lehranstalt angekommen musste ich feststellen, dass von den über 1.300 Edukanten ganze sechs noch anwesend waren. Auf jedes dieser Kinder kam ein zurückgebliebener Kollege. Ich war die Siebte. Vollkommen überflüssig.

Ich bin nicht ängstlich, aber lebensmüde bin ich auch noch nicht. Also suche ich eine Tour am Waldrand und werde fündig beim „Panorama-Weg“ in und um Strauch.

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Am Ende der Tour werde ich zwei Straftaten begangen haben. Für eine muss ich büßen. Ich werde die „Dreizehn“ verloren haben, die mir zuerst so treu ergeben schien und sich dann dünne machte wie ein alter Liebhaber, der  kurz im Nebel auftaucht – „Da bist du ja wieder!“ – und dann erneut unvermittelt das Weite sucht. Ich werde meinen Rucksack in jungfräulich glitzernden Schnee geworfen haben –  und mich gleich hinterher. Ich werde Bekanntschaft mit drei gutmütig kauenden Kälbern, zwei mäßig neugierigen Pferden, Stacheldraht und spitzen Dornen gemacht haben, und zuerst von einem unerschütterlich quer durch die Schneewüste stiefelnden Eifelbauern und dann von einem Mitglied des Steckenborner Karnevalsvereins auf den rechten Weg zurückgeführt werden. Kurz: Ich werde rechtzeitig wieder im Cambio-Auto sitzen.

Schnee zieht mich magisch an. Zumindest, wenn niemand von mir verlangt, irgendeine Piste herunterzubrettern. So auch heute. Der Aachener Wald ist grau und feucht, ich lasse ihn links und rechts liegen. Oben, an „Fringshaus“, ist der Winter so wunderbar weiß, wie er nur sein kann. Das Venn ist ein wenig vernebelt, aber als ich das Auto an der Kirche in Strauch parke, sieht es schon wieder heller aus. Unter den argwöhnischen Augen ziemlich vieler einheimischer Kirchgänger suche ich nach dem Laternenpfahl mit der richtigen Nummer.

Die „Dreizehn“ ist eine lange Route, mehr als 15 Kilometer habe ich mir vorgenommen. Ich merke schnell, dass es mühsam sein wird, denn der Schnee liegt hoch und rutscht gerne heimlich von hinten in meine Wanderschuhe. Aber was für ein Anblick! Die grau gefrorenen Bäume, die Felder mit den unberührten Schneedecken, der blaue Hintergrund! Da ist sie, die Sonne! Sie lässt das Schneeweiß noch kostbarer aussehen, und die grauen Tage sind schnell vergessen.

Raus aus dem kleinen Örtchen laufe ich von Postkartenidylle zu Postkartenidylle in Richtung „Michelshof“. Dort drehen sich die Windräder hoch über die Bäume hinweg und versorgen – so lese ich – 7.000 Haushalte mit Strom. Ein ganzes Jahr lang. Immerhin.

Ich ertappe mich auch hier dabei, wie ich breit grinsend durch die Feldwege stapfe, den Wald meist am sicheren Rand. Meine Kamera wird schneeblind, am Ende werde ich drei schwarze Bilder löschen, die eigentlich hätten weiß sein sein sollen. Ein äußerst kindischer Gedanke kommt mir in den Sinn. Wie ging das noch mal mit dem Schnee-Engel? Rucksack weg und fallen lassen?? Nach hinten???

Ich brauche noch einige Zeit, aber der Gedanke lässt mich nicht mehr los. An den wenigen Mitmenschen kann meine Hemmung nicht liegen. Ich nehme die Schneeflächen in Augenschein. Hier? Dort hinten? Mein Benehmen ähnelt dem eines potentiellen Partylöwen: Warum tanzt du nicht? – Ach nee, nicht meine Musik!

Ah ja. Die kommt vielleicht gar nicht.

Und dann tu ich es: Ich finde eine Wiese mit Blick auf den Rursee, werfe meinen Rucksack mit Schwung mitten in den tiefen Schnee – und mich hinterher. Mit weniger Schwung – mein Rücken 😂😂😂! Aber da lieg ich nun, gestrandet wie ein Maikäfer in der Junisonne. Ich aber bin ein Schneeengel.

Naja, nicht ganz.

Äußerst vergnügt laufe ich weiter. Und lerne die Dreizehn kennen, die Unberechenbare, Unglück bringende Dreizehn. Aber – auch hier gilt der alte Sozialpädagogengrundsatz: „Krisen sind Chancen!“ Ich werde zwar nicht gerade über  mich hinauswachsen, sondern mich so klein und schmal wie möglich machen, aber hier sitze ich und schreibe. Hat doch geklappt.

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Inzwischen weiß ich: Eigentlich ist auf die Schilder mit den Zahlen Verlass. Manchmal muss man ein Stück vor und zurückgehen, um den kleinen schwarzen Pfeil richtig deuten zu können. Allerdings hat „Friederike“ an diesem Baum gute Arbeit geleistet.

Ein Teil steht noch und das offenbar heruntergefallene 13er-Schild wurde von einem netten? (richtig rum) oder weniger netten? (falsch rum) Mitmenschen hübsch ordentlich wieder in den Baum gesteckt. Leider fehlt das Schild auf meiner Seite komplett. Ich überlege, ob es sich lohnt, den sehr großen Ast genauer zu untersuchen, der auf der Schneewiese gegenüber liegt und vermutlich am vergangenen Donnerstag noch Teil des Baumes war. Wenn ich das Schild dort fände, müsste ich mich allerdings in den Ast hineindenken, um herauszufinden, wie genau er am Baum befestigt war. Außerdem liegt die Wiese tief und der Schnee darauf sehr hoch. Ich konsultiere meinen Plan mit der fetten roten Linie und finde meinen Weg.

Ich treffe auf ein „Kapellchen“ – endlich, ich dachte schon, dieser Teil der Eifel habe dem Katholizismus abgeschworen – und laufe weiter, bis ich merke: Der Bach müsste eigentlich auf meiner linken Seite fließen. Das tut er aber ganz und gar nicht. Also: Zurück! Hin und Her, Her und Hin. Ach, da ist das Schild! Es ist zwar nicht die „13“ , aber besser irgendein Schild als gar keines. Der Bach liegt links. Und mitten im sehr schmalen, sehr steil ansteigenden Weg liegt ein Opfer von „Friederike“. Eines? Nein, mehrere. Ein Baum, ein Strauch, sehr viel Gestrüpp. Mindestens zwei Meter hoch und vollkommen undurchdringlich.

Beherzt ziehe ich an einem Ast. Autsch! Dornen! Blut fließt! Ich kriege Stress. Es ist schon nach zwei und ich habe mindestens zwei Drittel des Weges hinter mir. Zurück ist ob der früh einsetzenden Dunkelheit keine wirkliche Option. Also. Ich MUSS! HIER! IRGENDWIE! vorbei. Ich konsultiere die Umgebung. Wiesen, Zäune. Stacheldraht. Sehr stramm gezogener Stacheldraht. Aber alles perfekt Scheinende hat eine schwache Stelle. Da! Ich werfe meinen Rucksack ein zweites Mal ab und mach mich ganz klein und schmal. Niemand hier, der den Draht ein Stückchen für mich anheben könnte. Aber ich schaffe es. Ich laufe zum versperrten Weg und stapfe die verschneite Wiese hoch, überwinde so die versperrte Stelle und stehe – logisch! – am nächsten Zaun. Und hier werde ich gewalttätig. Ich hebe den Zaun aus der Matschepampe und lege ihn flach. Ich komme irgendwie rüber, und stelle das Ganze notdürftig wieder hin. Im Stillen bitte ich um Verzeihung. Hoffentlich ist der Besitzer ein ordentlicher Mensch und kontrolliert die Zäune, bevor er den Stier auf die Wiese lässt.

Aufatmen. Nächste Wiese suchen. Rucksack weg. Hinfallen lassen. Schnee-Engel machen.

Es dauert lange, bis ich die „Dreizehn“ wiederfinde. Mein Orientierungssinn ist völlig dahin. Ich laufe noch zweimal falsch, denn das Vertrackte an Rundwegschildern ist, dass sie immer in zwei Richtungen weisen. Man muss schon wissen, wo man hergekommen ist. Oder wenigstens, von wo  man kommen wollte.

Übrigens: Die erste Straftat traf mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich warte auf das Knöllchen.

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Westwallwanderungen

Mein erster Impuls: Schrecklich! Mein zweiter: Ein Glück, dass ich das Wandern rechtzeitig für mich entdeckt habe. Mein dritter: Ja, aber . . .

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Klar, außer mir gibt es noch ein paar andere Menschen auf der Welt. Die haben andere Interessen. Oder – in diesem Fall schlimmer – die gleichen. Beides vereint sich im heutigen Artikel der Aachener Zeitung, auf den ich heute morgen als eifrige Frühstücksleserin schon auf dem ersten Treppenabsatz hinterm Briefkasten stolpere: „Pfad durch Höckerlinie soll Touristen locken“.

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Ich lese, dass die Stadt Roetgen ein Interesse daran hat, sich zu vermarkten und daher ein Höckerliniengrundstück erworben hat, das als Magnet historisch interessierte und bewegungsfreudige Menschen in das „Tor zur Eifel“ locken soll. Ich verspüre Abneigung gegen diese Denkart. Gleichzeitig ist klar: Auch ich bin Touristin, wenn ich zwischen den grün bemoosten Höckern herumhüpfe.

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Tiefer wird meine Abneigung beim Lesen der Bildunterschrift auf der Seite „Region & NRW“: „Die Höckerlinie, die sich auf dem jüngst erworbenen Grundstück des Heimat- und Geschichtsvereins Roetgen befindet, muss zunächst von der Natur zurück erobert und wieder sichtbar gemacht werden, um sie . . . “ Ja, tatsächlich, hier hört der Satz auf.  Der Redakteur ist meiner Meinung, konnte die Tränen nicht zurückhalten und deshalb nicht weiterschreiben. Von der Natur zurück erobert? Wer hat denn die Höckerlinie so ansehnlich grün herausgeputzt, dass sie als Kriegsüberbleibsel vermarktet werden kann? Die Stadt Roetgen?

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Sei’s drum: Mich wird man ohnehin nicht um meine Meinung fragen. Ich tue sie trotzdem kund: Sobald mehr Wanderer als Höcker da sind, weiche ich aus nach Lammersdorf.

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Wanderung Nummer 13: Rund um den Püngelbach

Ach, es gäbe soooo viele Wandermöglichkeiten in der Eifel . . . aber der Winterbus ist eine seltene Angelegenheit. Es ist nicht einfach, der ASEAG zum Trotz auf Wanderkurs zu bleiben.

Da sind die freundlichen Damen des Heilsteinhauses in Einruhr weitaus hilfreicher. Ich bin inzwischen im Besitz einer „richtigen“ Wanderkarte – die zu lesen mir ähnlich schwer fällt wie der Stadtplan von Vancouver – und diverser kleiner und eher grob gezeichneter Wanderfaltblätter, die meinem wenig ausgeprägten Blick für die feinen Linien und Striche der erwähnten Wanderkarte deutlich eher entgegenkommen. Vielleicht liegt es auch an meinen Augen. Eine fette rote Linie, die sich in größeren Abständen mal in die eine, dann in die andere Kurve legt, ist für mich genau richtig. Wenn die rote Linie dann auch noch um einen blauen See führt, kann ich bei Fehlinterpretationen nur ins Wasser fallen. Und das versuche ich zu vermeiden.

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Die „Püngelbach“-Tour führt mich erst mal wieder raus aus Einruhr, über die Straße rüber und dann in den Wald. Schön hier. Nur der Püngelbach fehlt. Püngelbach. Was ist das für ein Wort? Als Kind kannte ich den Ausdruck „Pöngel“. Das war eine Art Bündel, ein Haufen von irgendwas. Bestimmt gibt es eine logische Erklärung, ganz sicher hat sich ein kluger Mensch etwas bei der Wassertaufe gedacht. Das online-Wörterbuch der „Westmünsterländischen Mundart“ gibt mir quasi Recht: Im Püngel konnte man mit einem Bündel voll Kleinkram durch die Lande ziehen, etwas verkaufen oder auch schmuggeln. Aber was schmuggelt ein Bach?

Ich klettere einen kleinen Hügel hoch, gucke runter auf den Ort, klettere höher und bin dann im Wald. Hinter mir folgt zwar nicht in Sicht- aber leider in Hörweite eine Vierergruppe junger Menschen, von denen eine ständig redet. Es dauert lange, bis ich außer Hörweite bin. Erst dann fange ich an, die Runde zu genießen – obwohl der Püngelbach immer noch durch Abwesenheit glänzt.  Da es keine Möglichkeit gab, mich zu verlaufen, nehme ich das fehlende Bachplätschern erstmal in Kauf.

Es ist kalt, grau und feucht heute. Aber es leuchtet grün. Habe ich mich hier schon als Moos-Fan geoutet? Ich kann mich gar nicht sattsehen. Moospolster auf Baumstämmen, auf Steinen, Sternmoos, Laubmoos, Moosteppiche.

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Ich sollte mich mal wieder mit der Moosbiologie befassen.

Manche sind zum Niederknien schön. Die Eifel ist katholisch.

Vor dem ersten Graupelschauer des Tages rette ich mich auf die Veranda einer Jagdhütte. Stilecht wacht ein Hirschgeweih über der Eingangstür.  Das Thermometer geht gegen Null. Der Himmel ist schneegrau. Mein Wetter.  Es graupelt zu wenig, um weiß zu werden. Aber als schneehungrige Städterin begrüße ich jedes einzelne Körnchen und freue mich.

Die Jagdhütte ist der Inbegriff von Biederkeit. Ich merke, dass ich mich nicht wohl fühle und weiter muss. Hier könnte sich gut eine düstere Geschichte abspielen, in der ich allerdings nicht für die Hauptrolle engagiert werden möchte. Und schon gar nicht für die Nebenrolle: das Opfer. Morbide Gedanken.

Die Einsamkeit ist es nicht, die mich stört. Ich habe keine Angst, alleine durch den Wald zu stapfen. Aber die Hütte ist nicht „Natur“. Sie ist Menschenwerk. Weg hier.

Wenn ich so im Nachhinein meine „schrägen“ Bilder betrachte, kann ich nicht mehr wirklich nachvollziehen, wieviel Freude ich beim Laufen durch den grauen Tag hatte. Viele kleine Schönheiten, die ich am Wegesrand entdecke, lassen sich mit meinen rudimentär vorhandenen fotografischen Fähigkeiten nicht ablichten. Schönheit liegt im Auge des Betrachters und ein zwischengeschaltetes Medium nimmt einiges von der Lebendigkeit weg, die beim näheren Hinsehen deutlich wird oder beim vorsichtigen Anstubsen mit dem Fuß eine Sporen- oder Staubwolke provoziert. Selbst in diesen feuchten Tagen.

Manchmal spiegelt sich ein Baum in einer Pfütze und macht erst auf diese Weise auf sich aufmerksam.

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Ich bin mir sicher, dass ich viele Dinge gar nicht entdecken würde, wäre ich nicht alleine hier. Nie fühle ich mich einsam. Immer lebendig. Obwohl die Natur um mich herum sich abwendet. Ich höre keinen Vogel, keine Maus huscht vorbei, kein Reh kreuzt meinen Weg. Wenig Menschen.

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Und da ist er endlich, der Püngelbach. Plätschert vor sich hin und nimmt höchstens ein paar Buchenblätter mit.

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Wanderung Nummer 18: „Auf den Spuren . . .

. . . des Venn-Apostels“ – so jedenfalls lautet der merkwürdige Titel der „Zeitungs-Route 6,“ die ich heute gelaufen bin. Da die Tour aus dem Archiv der Aachener Zeitung stammt, vermute ich, dass sich ein Volontär, betraut mit der Aufgabe „Find doch mal eine gute Überschrift – du hast Zeit bis morgen früh!“ mit den vielen christlich geprägten Gebäuden und Hinweisen am Wegesrand auseinandergesetzt und nach dem Genuss von zwei bis drei Gläsern billigen Weißweins mit dem Ergebnis ins Bett gegangen ist. Als er es dann auf den Schreibtisch seines Redakteurs gelegt hat, hatte dieser keine Zeit zur Ergebniskorrektur.  So wandele ich nun auf den Spuren ebendieses Apostels. Bisher kannte ich nur Judas und Co. Stephan ist ein Neuzugang für mich. Er war wohl Chef der Benediktinerabtei „Reichenstein“, die gerade von einem französischen Orden wieder aufgebaut wird.

Auch, wenn ich an dieser Stelle schon großspurig die Freuden grauer Wandertage gepriesen habe, bin ich froh über die Sonne, die – zuerst noch ganz verschämt – heute Morgen durch die Fenster scheint und meine Wohnung und mein Herz erwärmt. Damit die Nacht nicht ganz so kurz wurde, habe ich vorm Zubettgehen noch ein Auto gebucht. Unterwegs im Radio höre ich, dass die Sonne ☀️ heute „fast überall“ zu sehen sein wird. Ich fahre geradewegs in das „Fast“ hinein – hinter Roetgen steht eine Art dunkle Wand. Erst kurz vor Ende meiner Tour gibt die Sonne der Radiomoderatorin Recht – für höchstens fünf Minuten.

Mein Wanderweg beginnt in „Kalterherberg“ – und eigentlich kann man kaum etwas Anderes erwarten als Kälte und (Jugend)herbergen. Tatsächlich: Hier ist irgendwie die Zeit stehengeblieben. Es gibt noch Weihnachtsdeko und den Dorftannenbaum, und die Herberge, die ich am Ende meiner Spurenroute zwecks Bedürfnisbefriedigung aufsuche, riecht wie die Dorfkneipe meiner Jugend, in der ich an manchen Abenden einen „halben Liter Bier“ für meinen Vater holen musste. Der kleine, dicke Wirt, Herr C., hätte bei der „Me too“-Debatte einen herausragenden Platz eingenommen. Er ist schon lange tot. Das hat er nun davon. Vermutlich schmort er neben meinem aufgrund des gleichen Deliktes in die unterste Etage geschickten ebenfalls kleinen, dicken Großonkel Heinz, der alles begrapschte, was ihm unter die Finger kam. Es war diffus unangenehm, aber niemand dachte sich etwas dabei.

Beim Laufen wird mir klar, dass ich die Eifeltemperaturen immer noch unterschätze.  Oder, besser gesagt: überschätze. Auch, wenn ich heute die ein oder andere Meise, meist Kohl-, selten Blau-, entdecke und einige robuste Pflänzchen die nächste Jahreszeit schon zaghaft ankündigen: Der Frühling ist noch weit. Gar nicht mehr weit ist Belgien 🇧🇪, das Land, mit dem wir uns das „Venn“ teilen. Und neben dem Weg, der später an der ziemlich turbulenten Rur entlang geht, ist das Stück durchs Venn wie so oft der schönste Abschnitt.

Vorher aber werfe ich noch einen Blick auf den „Ruitzhof“ – der irgendwie „deutsch“ ist, aber in Belgien liegt –  und setze mich vorsichtig – arschkalt ist’s unterm Po – auf die äußerste Kante einer Bank, von der man einen wunderbar weiten Blick ins Tal und auf den nächsten Eifelhügel hat. Dort sehe ich von weitem den „Eifeldom“ – eigentlich St. Lambertus -, der äußerst imposant über Kalterherberg wacht. Immerhin, er steht noch. Was man vom „Immerather Dom“ nicht behaupten kann.

Der Weg, den ich heute laufe, hat viele Namen. Einer davon ist „Weg des Gedenkens“.

Mir ist nicht so ganz klar, wem ich hier gedenken soll, und so denke ich über die Pflanzen nach, die hier wachsen und ganz eindeutig den Wunsch haben, der Winter möge bald Geschichte sein. Eigentlich genial das Ganze. Die Lebensbedingungen sind schlecht, also zieht man sich zurück, bis es besser wird. Und dann kommt man wieder zum Vorschein. Geläutert und runderneuert und strahlender denn je.

Mein „Guck-dir-das-an“-Satz hat an dieser Stelle Gelegenheit, ausgerufen zu werden:

Ich klettere den „Richelsley“-Felsen hoch und stehe 31 Stufen höher unterm eisernen „Kreuz im Venn“. Schön ist es nicht. Aber „sechs Meter hoch und 1338 Kilogramm schwer“.  Auf der Rückseite des Felsen geht es richtig katholisch weiter und – bis auf die letzte Zeile – stimmt neben dem Reim auch der Rhythmus.

Ein Stückchen geht’s noch durch den Wald, dann bin ich im Tal der Rur ohne „H“. Dem Wanderfaltblatt mit dem sperrigen Namen entnehme ich, dass die Rur 165 Kilometer lang ist, im „Hohen Venn“ entspringt und erstmal 15 Kilometer durch Belgien fließt.

Die Rur ist ziemlich wild heute, nach all den Regenfällen der letzten Wochen. Sie gurgelt und plätschert und schäumt vor Lebensfreude. Ich überquere eine wackelige, morsch wirkende Brücke und als ich meinen Blick vom Fluss lösen kann, sehe ich tatsächlich ein Stückchen blauen Himmel.

Mehr Farbe gibt’s nur im „Eifeldom“.

 

 

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Wanderung Nummer 17: Westwall und Eifelkreuz

Ist das trostlos, heute! Fast fällt es mir schwer, meinen Wanderrucksack zu packen. Es ist klamm und feucht draußen, viel zu früh. Doch da kommt der Bus! Tatsächlich. Fast pünktlich. Das ist ein Zeichen. Der Tag wird bunt!

Eine knappe Stunde später stehe ich am Simmerather Bushof und halte Ausschau nach der für heute geplanten Wanderroute mit der Nummer 21, die ich eigentlich schon letzte Woche laufen wollte. In der Bäckerei „NOBIS“ guckt man mich verständnislos und ungläubig an, als ich nach dem Wanderweg-Einstieg frage. Ich gucke ähnlich ungläubig auf die mir allzu bekannten Muffins, die ich („Schoko-Kirsch oder Johannisbeer-Vanille?“) in der Bäckerei bei mir um die Ecke morgens um halb Acht immer im Doppelpack kaufe,  wenn einer meiner Schüler Geburtstag hat. Einen aus dem Doppelpack (Schoko-Kirsch) esse ich selbst. Macht im Jahr 27 Muffins. Die Zeiten der individuellen Backstuben sind ganz offensichtlich vorbei. Allerdings werde ich nach getaner Wanderung genau hier wieder einkehren, um in einem Schwarzwälder-Kirsch-Sahneberg zu versinken. Mit viel Kirschwasser. Den muss ich mir aber erst mal verdienen.

Die Tour beginnt an der Kirche, und auf meinem Weg dorthin begegnen mir typische Dorfmusiker mit Uniform und Instrument im Anschlag. Das „Wumm-Ta-Ta“ des Simmerather Musikvereins wird mich die halbe Wanderung über begleiten. Obwohl ich mich landschaftlich gesehen unendlich weit weg wähne, wummern die dunklen Töne durch den trüben Tag. Kirmes, Schützenfest, Dorfumzug gibt es immer noch. Aber heute?

Bevor es richtig los geht, muss ich ein ganzes Stück durch Simmerather Wohngebiete laufen, bis ich am Ortsausgang auf einen Weg stoße, der nach Wanderung aussieht. Das letzte Haus am Wegesrand ist die gelb-orange getünchte Anstalt, in der die Simmerather Jugend aufs wahre Leben vorbereitet wird. Ein bunter Betonklotz. Warum dürfen Kinder nicht in schönen Häusern lernen? Die gibt’s hier doch auch!

Ich verscheuche die Schul-Gedanken und konzentriere mich auf den Weg. Der Tag bleibt grau. Ich bleibe allein. Nur ganz entfernt läuft irgendwann ein riesiger blonder Hund mit einer passenden blonden Frau an der Leine vorbei. Gleiche Haarfarbe, gleiche Frisur.

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Relativ schnell treffe ich auf den Westwall. Auch, wenn ich inzwischen weiß, dass es sich hier nicht nur um ein paar Höckerchen handelt, die im Weg herumstehen, bin ich beeindruckt. Inzwischen ein Mahnmal für den Frieden ist der Anblick dennoch beklemmend. Der Weg verschwindet im Nirgendwo.

Die kurze Variante der Route bedeutet, dass ich auf der etwa 50 Zentimeter breiten Wallmauer herumlaufen soll. Ich mag nicht, das wird mir schnell klar. Zu deprimierend.

Also laufe ich die etwa 3 Kilometer längere Strecke und komme an der Antwort auf die Frage, ob ich auch in meiner Heimat eine Art „Canada-Feeling“ haben kann, schlicht und ergreifend vorbei. Yes, I can!

„Grandmother-Trees“ nennt unser aller Lieblingskanadier die halb-verrotteten Baumreste, auf denen die Enkelgeneration ins Licht der Welt guckt. Ja, klar, irgendwie sind Eifel-Bäume kleine Gartenzwerge im Vergleich zu denen, die er mir im „Cathedral’s Grove“ auf dem Weg nach Tofino gezeigt hat, aber wahre Größe zeigt sich manches Mal  im Verborgenen.

Auch hier plätschert und gurgelt es neben mir. Ich wate durch riesige Pfützen, überall rieselt und tropft es. Manchmal habe ich Schwierigkeiten, meine Wanderschuhe aus dem Matsch zu ziehen. Dieses Geräusch!

Es erinnert mich an eine viele Jahre zurückliegende Watt-Wanderung mit Freunden. Es ist Herbst, das Wetter ähnlich trübe und nass wie heute. Wir sind drei Paare, die zusammen Urlaub an der Nordsee machen. Einer der Männer hat sich mit seiner Frau verkracht und läuft demonstrativ im großen Bogen um uns und sie herum. Ein schmollender, erwachsener Mann. Da er dafür sorgt, dass er in Sichtweite bleibt – sonst könnten wir nicht sehen, wie tief getroffen er ist – erkennen wir auch, dass das heftige Winken, mit dem er irgendwann auf sich aufmerksam macht, keine Verbesserung seiner Laune bedeutet, sondern schlichtweg, dass er tief im Dreck steckt. Seine Frau wandert ungerührt weiter. Wir anderen versuchen, ihn aus dem Matsch zu ziehen. Das Ganze endet damit, dass die Gummistiefel dran glauben müssen. Er watet auf weißen Socken zurück ins Urlaubsparadies.

Mir steht nicht der Sinn nach dem  Verlust meiner Wanderschuhe, die mir  inzwischen regelrecht ans Herz gewachsen sind, und deshalb versuche auch ich mich im Bogenlaufen. Das ist noch schlimmer. Aber die Schlammschlacht lohnt sich:

Hier waren Biber am Werk! Und auch, wenn ich in der Zeitung gelesen habe, dass Biber sich in der Eifel wieder ansiedeln, nachdem sie jahrzehntelang verschwunden waren, hätte ich nicht damit gerechnet, dass sie ihre Spuren ausgerechnet in Simmerath hinterlassen. Die Biber selbst sehe ich nicht. Biber sind scheue Tiere. Im Gegensatz zu Ohrwürmern.  Die sind penetrant. Tagelang werden sie mir das Lied von den armen Bibern, die Fieber haben, vorsingen.

Ein weiteres Highlight ist der „Hexenplatz“. Ein bisschen unheimlich. Steht dort hinten nicht jemand auf dem Weg und schaut zu mir herüber? Ich zoome die Figur heran, kann aber nichts erkennen. Im Nachhinein kriege ich Gänsehaut.

Nicht unheimlich, sondern fast gefährlich wird meine Wandertour auf den Stegen, die durch ein Stück Venn-Moor führen. Die sind so rutschig wie die Aachener Eishalle, die heute den Namen des hiesigen Hitradios trägt und deshalb vermutlich nicht schöner aussieht als zu der Zeit, in der meine Kinder vergeblich versuchten, mich aufs offene Eis zu locken. Nein, hier kann man nicht wirklich tief fallen. Aber für einen Beinbruch könnte es durchaus reichen.

In „Paustenbach“, dem Ort, in dem einst der „Räuber Hotzenplotz“ die Erzieherin meiner Kinder auf der Fahrt ins Schullandheim zum Kaffee einlud, finde ich in 500 Metern Höhe das „Eifelkreuz“. Ein weiteres Mahnmal für den Frieden, errichtet aus der Dankbarkeit der Noch-einmal-Davongekommenen.

Am Schluss, kurz vor der Schwarzwälder Kirsch-Torte, treffe ich auf die Sternsinger. Vielleicht sind sie der Grund für das sonntägliche Wumm-Ta-Ta. Man weiß es nicht.

Ich darf nicht vergessen, das zu tun, was ich schon lange tun möchte: Noch mal nachlesen, warum Moose und Flechten so besonders sind. Ich hab’s mal gewusst. Einmal auffrischen, bitte.

 

Viel Grün für einen grauen Tag.

 

 

 

 

 

 

 

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Wanderung Nummer 16: Struffelt im Schnee

Ich habe Ferien. Und gute Vorsätze. Einer davon ist: einen Tag arbeiten, einen Tag ausruhen oder lesen oder schreiben oder . . . wandern.

Wochentags fahren die Busse recht häufig in die Eifel und so mache ich mich – zugegebenermaßen spät, aber gut gelaunt – kurz nach elf auf in Richtung Bushaltestelle. Dort warte ich auf den Bus. Der kommt nicht. Da ich sowohl ein phantasievoller als auch ein geduldiger Mensch bin, denke ich über all die Möglichkeiten nach, die dazu führen könnten, dass ein Bus verspätet ankommt. Mir fallen sehr viele Möglichkeiten ein, denn ich denke sehr lange nach. Eine halbe Stunde, um genau zu sein. Nach dieser halben Stunde gibt es nur noch eine Erklärung: Dieser Bus kommt gar nicht. Kein Problem, laut Plan ist jetzt der nächste dran. Zehn Minuten und gefühlte zehn „falsche“ Busse später gebe ich auf. Die ASEAG ist ein würdiger Gegner.  Sie versucht konsequent, mich davon zu überzeugen, dass Busse in die Eifel im Winter Zeit- und Geldverschwendung bedeuten. Da will im Winter niemand hin. Nur ich.

Ab nach Hause. Wieder rettet mich das Carsharing. Innerhalb von zehn Minuten sitze ich im Fiesta. Allerdings ist es jetzt Mittag und die Tour ab Simmerath, die ich mir für heute vorgenommen hatte, kann ich vergessen. Sie ist zu lang, um vor Einbruch der Dunkelheit das Auto wiederzufinden. Da fällt mir meine Wanderstrecke aus der Frühzeit ein: der Struffelt. Wer weiß, ob ich ohne die Struffelt-Erfahrung überhaupt so oft losgezogen wäre.

Also fahre ich nur bis Rott. An der Abzweigung vor der Himmelsleiter sieht es so winterlich weiß aus, dass ich im Nu versöhnt bin mit der Wander-Notlösung. Ich bin und bleibe ein Winterkind.

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Und da ich weiß, was mich erwartet, bin ich voller Vorfreude. Zuletzt war ich bei schönem Herbstwetter hier. Im Miniröckchen mit Turnschuhen. Mit Cailladou und Trauben im Rucksack. Heute sind es Weihnachtskekse und Schokolade.

Ich bin hier übrigens nicht alleine unterwegs. Es gibt noch mehr Menschen, die das  ausnahmsweise mal trockene Winterwetter nutzen wollen, um Weihnachtsstress und -speck loszuwerden.  Vermutlich haben sie keine Schokolade im Gepäck. Aber wie fast immer bin ich die einzig Alleinreisende. Und wie so oft denke ich, dass die einsame Wanderung die beste ist. Es hat etwas mit Meditation zu tun.

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Mir reicht es schon, im Vorübergehen den Austausch von Belanglosigkeiten in Form von Knödelrezepten mit anhören zu müssen, die in der Struffelt-Stille an bedauernswerte Mitwanderer weitergegeben werden. Mitten im Wald.

Ich laufe am kleinen See vorbei, der – fast zugefroren – silbergrau und still ist. Mir kommt Kate Winslet in den Sinn, die in dem Film, den ich gestern im Kino gesehen habe, in ein schneebedecktes Eisloch einbricht. Natürlich wird sie gerettet, aber der Schreck sitzt tief. Allein der Bilder wegen hat sich mein Kino-Besuch gelohnt: „The Mountain between us“ ist ein Film „Zwischen zwei Leben“.

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Viele Mitwanderer habe ich nicht, die meisten gehen ohnehin nur ein Wegstück und nicht die ganze Route. Aber wenn ich sie von weitem höre, versuche ich, den menschlichen Tönen zu entkommen: Meist hilft schneller sein, manchmal ist Stehenbleiben die bessere Alternative.

Ich weiß, dass irgendwann ein breiterer Bach im Weg liegen wird, und gehe routiniert und ohne auf die Zeichen achten zu müssen, drumherum. Auch dieses Mal spüre ich den Plätscherstress. Vielleicht kriege ich irgendwann mal raus, warum laute Wassergeräusche mir Angst machen. Vielleicht, weil sie alles Andere übertönen?

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Die Farben sind heute anders. Das Weiß des Schnees lässt manches bunter aussehen als es ist. Mir fällt auf, dass der kleine Bach, neben dem ich eine Zeitlang herlaufe, in einem gelben Bett fließt. Lehm und Ton.

An manchen Stellen tut mir der Waldboden Leid. Dort, wo ich vorsichtig durch Matschepampe waten muss, waren immer Maschinen am Werk. Sie reißen den Boden auf, und wenn er bluten könnte, wäre hier Rot die vorherrschende Farbe.

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Dann klart es auf. Der Himmel wird erst hellgrau, dann blau. Diese Farbe gab es länger nicht.

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Das schönste Stück ist das Stege-Stück durch’s Venn. Im Herbst war es schauriger hier, heute sind die Moorlöcher und -Leichen schneebedeckt: die Spinnenlor, der Gräberknecht, die schaurige Margret haben Ruhe.  Ein junger Mann, der einzige Alleinreisende außer mir, steht still und betrachtet die Landschaft.

Wie gut, dass ich heute hier gewesen bin. Zusammen mit der Sonne, die sich auf den Weg  macht, der Nacht zu weichen. Es ist fast halb Fünf, als ich am Auto bin. Gutes Timing.