Ich habe Ferien. Und gute Vorsätze. Einer davon ist: einen Tag arbeiten, einen Tag ausruhen oder lesen oder schreiben oder . . . wandern.
Wochentags fahren die Busse recht häufig in die Eifel und so mache ich mich – zugegebenermaßen spät, aber gut gelaunt – kurz nach elf auf in Richtung Bushaltestelle. Dort warte ich auf den Bus. Der kommt nicht. Da ich sowohl ein phantasievoller als auch ein geduldiger Mensch bin, denke ich über all die Möglichkeiten nach, die dazu führen könnten, dass ein Bus verspätet ankommt. Mir fallen sehr viele Möglichkeiten ein, denn ich denke sehr lange nach. Eine halbe Stunde, um genau zu sein. Nach dieser halben Stunde gibt es nur noch eine Erklärung: Dieser Bus kommt gar nicht. Kein Problem, laut Plan ist jetzt der nächste dran. Zehn Minuten und gefühlte zehn „falsche“ Busse später gebe ich auf. Die ASEAG ist ein würdiger Gegner. Sie versucht konsequent, mich davon zu überzeugen, dass Busse in die Eifel im Winter Zeit- und Geldverschwendung bedeuten. Da will im Winter niemand hin. Nur ich.
Ab nach Hause. Wieder rettet mich das Carsharing. Innerhalb von zehn Minuten sitze ich im Fiesta. Allerdings ist es jetzt Mittag und die Tour ab Simmerath, die ich mir für heute vorgenommen hatte, kann ich vergessen. Sie ist zu lang, um vor Einbruch der Dunkelheit das Auto wiederzufinden. Da fällt mir meine Wanderstrecke aus der Frühzeit ein: der Struffelt. Wer weiß, ob ich ohne die Struffelt-Erfahrung überhaupt so oft losgezogen wäre.
Also fahre ich nur bis Rott. An der Abzweigung vor der Himmelsleiter sieht es so winterlich weiß aus, dass ich im Nu versöhnt bin mit der Wander-Notlösung. Ich bin und bleibe ein Winterkind.
Und da ich weiß, was mich erwartet, bin ich voller Vorfreude. Zuletzt war ich bei schönem Herbstwetter hier. Im Miniröckchen mit Turnschuhen. Mit Cailladou und Trauben im Rucksack. Heute sind es Weihnachtskekse und Schokolade.
Ich bin hier übrigens nicht alleine unterwegs. Es gibt noch mehr Menschen, die das ausnahmsweise mal trockene Winterwetter nutzen wollen, um Weihnachtsstress und -speck loszuwerden. Vermutlich haben sie keine Schokolade im Gepäck. Aber wie fast immer bin ich die einzig Alleinreisende. Und wie so oft denke ich, dass die einsame Wanderung die beste ist. Es hat etwas mit Meditation zu tun.
Mir reicht es schon, im Vorübergehen den Austausch von Belanglosigkeiten in Form von Knödelrezepten mit anhören zu müssen, die in der Struffelt-Stille an bedauernswerte Mitwanderer weitergegeben werden. Mitten im Wald.
Ich laufe am kleinen See vorbei, der – fast zugefroren – silbergrau und still ist. Mir kommt Kate Winslet in den Sinn, die in dem Film, den ich gestern im Kino gesehen habe, in ein schneebedecktes Eisloch einbricht. Natürlich wird sie gerettet, aber der Schreck sitzt tief. Allein der Bilder wegen hat sich mein Kino-Besuch gelohnt: „The Mountain between us“ ist ein Film „Zwischen zwei Leben“.
Viele Mitwanderer habe ich nicht, die meisten gehen ohnehin nur ein Wegstück und nicht die ganze Route. Aber wenn ich sie von weitem höre, versuche ich, den menschlichen Tönen zu entkommen: Meist hilft schneller sein, manchmal ist Stehenbleiben die bessere Alternative.
Ich weiß, dass irgendwann ein breiterer Bach im Weg liegen wird, und gehe routiniert und ohne auf die Zeichen achten zu müssen, drumherum. Auch dieses Mal spüre ich den Plätscherstress. Vielleicht kriege ich irgendwann mal raus, warum laute Wassergeräusche mir Angst machen. Vielleicht, weil sie alles Andere übertönen?
Die Farben sind heute anders. Das Weiß des Schnees lässt manches bunter aussehen als es ist. Mir fällt auf, dass der kleine Bach, neben dem ich eine Zeitlang herlaufe, in einem gelben Bett fließt. Lehm und Ton.
An manchen Stellen tut mir der Waldboden Leid. Dort, wo ich vorsichtig durch Matschepampe waten muss, waren immer Maschinen am Werk. Sie reißen den Boden auf, und wenn er bluten könnte, wäre hier Rot die vorherrschende Farbe.
Dann klart es auf. Der Himmel wird erst hellgrau, dann blau. Diese Farbe gab es länger nicht.
Das schönste Stück ist das Stege-Stück durch’s Venn. Im Herbst war es schauriger hier, heute sind die Moorlöcher und -Leichen schneebedeckt: die Spinnenlor, der Gräberknecht, die schaurige Margret haben Ruhe. Ein junger Mann, der einzige Alleinreisende außer mir, steht still und betrachtet die Landschaft.
Wie gut, dass ich heute hier gewesen bin. Zusammen mit der Sonne, die sich auf den Weg macht, der Nacht zu weichen. Es ist fast halb Fünf, als ich am Auto bin. Gutes Timing.