. . . kam in mein Leben, als ich – sieben Jahre alt – im Krankenhaus lag und mich von einer Mandel-OP erholen sollte. Neben mir im Krankenzimmer lag meine Freundin Cornelia. Unsere Mütter hatten sich offenbar zusammengetan und einen gemeinsamen einwöchigen Aufenthalt im Krankenhaus „St. Josef“ für uns erwirken können. Vielleicht in der Hoffnung, dass man „zusammen weniger allein ist.“ Natürlich in den Ferien, kurz vor oder nach Ostern. Damals waren die Osterferien drei Wochen lang.
Es war das Zeitalter der strengen „Besuchszeiten“. Die waren von zwei bis vier, und vorher oder nachher waren die Türen zu. Basta.
Ich hatte Heimweh. Cornelia nicht.
Unsere Mütter kamen mit Eiscreme, denn das war angeblich gut gegen die fürchterlichen Halsschmerzen und Schluckbeschwerden. Ich weinte, aß mein Eis am Stiel, weinte weiter. Cornelia weinte nicht.
Deshalb verstand mich niemand.
Da brachte meine Mutter mir mein erstes eigenes Buch mit. Es war Band Eins der „Pucki-Reihe“, aber ich kam nicht über die Anfangsseiten hinweg, denn die waren irgendwie langweilig und außerdem schwammen meine Augen ständig in Tränen und das machte das Lesen schwer. Lesen an sich war keine Anstrengung für mich, ich bin in einem Haus mit Bücherschrank (Mama) und Zeitung (Papa) groß geworden und niemand wäre jemals auf die Idee gekommen, dass irgendwelche Texte für mich ungeeignet sein könnten. Also las ich, was mir in die Finger kam.
Wieder zu Hause hörte ich mit dem Weinen auf und hatte Ferien und somit Lesezeit. Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen Pucki und mir. Später kamen noch andere Freundinnen und sogar Freunde hinzu: Hanni, Nanni, Dolly, Georgina, die wie ich lieber ein Junge sein wollte, Jack und seine Schwester Lucy und „Der Trotzkopf“, von der ich den richtigen Namen gar nicht weiß.
Natürlich sind die Bücher der „Pucki“-Reihe keine hohe Literatur. Sie spielen im Nirgendwo irgendwo in Deutschland – oder doch nicht? – irgendwann vor oder nach einem Krieg, der nicht mal ansatzweise erwähnt wird. Sie triefen vor Sentimentalität und Klischees. Männer und Frauen haben eine klare Rollenteilung, die Menschen auf dem Land sind gesund, stehen früh auf und versorgen mit ihrer eigenen Hände Arbeit die armen, blassen Städter, die kein eigenes Stück Land zum Beackern haben. Männer müssen gefragt werden, wenn ihre Frauen sich in irgendeiner Weise verwirklichen wollen und sollten sie das wollen, klingt immer durch, dass die Verwirklichung der Frau in der Erziehung der Kinder und der Abwicklung des Haushaltes in ganz natürlicher Weise mit inbegriffen ist.
Und doch: Pucki geht auf die „Höhere Schule“ – aber nur bis zur Zehn, das reicht für ein Mädchen -, dann folgt ein „Erster Schritt ins Leben“ und danach – für damalige Zeiten durchaus ungewöhnlich – eine Berufsausbildung für einen Beruf, der allerdings nie ausgeübt wird, weil Pucki vorher „eine glückliche Braut“ wird und ihre Erzieherinnen-Ausbildung später an ihren eigenen Söhnen ausleben kann.
Welchen Einfluss nehmen Bücher auf ihre jungen Leserinnen und Leser? Sind die Helden der Kindheit Vorbilder oder Stellvertreter? Will man sein wie sie oder reicht die durch das Eintauchen in von den Protagonisten zu bewältigende gefährliche Situationen geweckte Abenteuerlust nur bis zum hinteren Buchdeckel? Wächst man über die Heldin hinaus und macht es anders, besser? Trägt „Försters Pucki“ die Schuld an meinen derzeitigen Waldwanderungen? Fragen über Fragen. Pucki lebt.